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Panasonic RQ-2102: Legenden leben länger (als gedacht)

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Der Retro-Hype um die Musik-Cassette ist zwar schon wieder etwas abgeflaut, aber es ist nie zu spät, einem faszinierenden Stück Technik eine Story zu widmen. Diese hier brennt mir jedenfalls schon länger auf den Nägeln

Es muss so um das Jahr 1993 gewesen sein, ich also so 6 oder 7 Jahre alt, da schenkten mir meine Eltern zu Weihnachten einen kleinen, tragbaren Mono-Cassettenrecorder. Ich glaube nicht, dass die Auswahl des Modells aufgrund vorangegangener langer und intensiver Recherchen erfolgte – sondern eher nach dem, was beim Saturn damals so im Regal stand. Die Hauptmotivation für den Kauf war vermutlich ohnehin ganz einfach, dass ich meine Kindercassetten nicht mehr ständig im Wohnzimmer auf dem Grundig-Tapedeck der heimischen Stereoanlage hören und damit die ganze Familie mitunterhalten möge… – aber egal, ob sie damals wussten, was für einen technischen Volltreffer sie mit der Auswahl des Modells gelandet haben, oder nicht: Fakt ist, dass ich seit diesem Tage sehr (!) stolzer Besitzer eines Panasonic RQ-2102 war.

Kindheitserinnerungen

Was habe ich dieses Gerät geliebt! Was habe ich dieses Gerät unglaublich intensiv benutzt! Und nicht nur zum allabendlichen Hören meiner (und vieler, vieler aus der öffentlichen Bücherei ausgeliehenen) Hörspielcassetten, sondern auch ausgiebig zum Aufnehmen eigener Hörspiele, Reportagen, Geräuscheffekte und, und, und. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich damals mit meinem Opa und meinem kleinen Bruder durch die Straßen in der Nähe des Frankfurter Ostbahnhofs gestreift bin und eine Reportage mit Geräuschen des Güterbahnhofs, Kommentaren zu allem was wir sahen und kurzen Interviews zwischen meinem Opa und mir aufgenommen habe. Die Cassette, beschriftet mit dem wunderschönen Titel „Sachen von der Stadt“ habe ich heute noch (natürlich auch digitalisiert und damit gesichert). Oder wie ich, sehr zum Leidwesen meiner Eltern, ein Hörspiel mit einem aufziehenden Gewitter produziert habe, bei dem ich das „Gewitter“ durch heftiges Schlagen gegen unseren Wohnzimmerheizkörper, aufgenommen mit gleichzeitig gedrückter Vorspultaste, „täuschend echt“ simuliert habe…

Ja, dieses Gerät weckt Kindheitserinnerungen!

Und das Gerät an sich ist eine Legende. Im (deutschen) Panasonic-Katalog tauchte es zum ersten Mal 1990 auf, zum letzten Mal um das Jahr 2010. Es wurde also über 20 Jahre hinweg nahezu unverändert verkauft! Wer das als Indiz für die Zuverlässigkeit dieses Geräts sieht, wird Recht behalten.

Deshalb folgt hier auch kein Trauergesang um meinen alten, leider über die Jahre „kaputtgenudelten“ oder „totgeliebten“ Cassettenrecorder: denn nichts davon trifft zu! Das Gerät spielt auch heute, 2025, noch quasi wie am ersten Tag. Auch die Hände meines damals 3-jährigen Sohnes (mittlerweile hat er ein anderes Gerät, dazu später mehr…) hat der RQ-2102 unbeschadet überlebt.

Weil? Nun ja, zum einen, weil wir schon ganz gut darauf achtgegeben haben, aber auch, weil das Gerät und insbesondere das in ihm verwendete Cassetten-Laufwerk (auch Cassetten-Mechanismus oder im Englischen „Cassette/Transport Mechanism“ oder auch gern einfach nur „Mech“ genannt) von einer konstruktiven und verarbeitungstechnischen Güte ist, die man heute vergebens sucht. Das spiegelt sich aber nicht nur in seiner Langlebigkeit wider, sondern vor allem auch in der Wiedergabequalität.

Ich nannte den Mechanismus lange Zeit gerne „Panasonic Semi-Soft-Touch“ (oder auch „Matsushita Semi-Soft-Touch“), bis ich endlich in einem Service-Manual auf die offizielle Bezeichnung stieß: SG-20.

In den einschlägigen Foren der „Tapeheads-Szene“ findet dieser Mechanismus irgendwie leider recht wenig Beachtung und überhaupt Erwähnung. Dabei kam er nicht nur im Panasonic RQ-2102 , sondern im Lauf der Jahre auch in vielen anderen Modellen zum Einsatz und wurde somit über mindestens 20 Jahre hinweg nahezu unverändert hergestellt und verkauft. Und vielleicht gar noch länger? Dazu später mehr…

Comeback der Cassette

Die Szene selbst hat – nicht nur, aber auch – aufgrund von Phänomenen wie dem YouTube-Kanal Techmoan und ähnlichen Creators in den letzten Jahren ja enorm an Aufwind bekommen: Cassetten waren auf einmal wieder angesagt, sowohl wegen ihres Retro-Charmes, den damit verbundenen Kindheitserinnerungen und des technischen Interesses am Reparieren und Pflegen der alten Decks, aber wohl auch ein wenig als Lifestyle-Aussage. Wer unter Nerds was auf sich hielt, hatte ein oder mehrere alte Tapedecks zuhause und kaufte sich die angesagten Synth-Pop-Alben natürlich auf Cassette (ich schließe mich da gar nicht aus…). Letzteres, hab ich den Eindruck, ist in den Jahren ab 2023 wieder etwas abgeflaut, aber die eindrucksvolle und trotz aller Widrigkeiten doch robuste Technik bleibt.

Man hört ja immer wieder von der Vergänglichkeit alter Tonaufnahmen auf Band, aber bei annähernd sinnvoller Lagerung (nicht gerade im verschimmelten Keller oder unter dem undichten Dach und nicht in der prallen Sonne) halten Cassetten nach meiner Erfahrung annähernd ewig. Ich habe vor 3 Jahren eine größere Digitalisierungs-Session alter Kinder-Hörspielcassetten eingelegt, die teils aus den frühen 80er-Jahren stammten, und alle davon ließen sich mit einem guten Deck und Anwendung eines guten Dolby-B-Plugins („Tape Restore Live“ für Winamp!) in exzellenter Qualität „retten“.

Hintergrund: Dolby – die „Mach-alles-dumpf-dann-ist-auch-das-Rauschen-weg“-Taste?

Kleiner Einschub: von der richtigen Einstellung des Arbeitspunktes der Dolby-Rauschunterdrückung auf Wiedergabeseite hängt quasi alles ab, und sie ist fast immer falsch. Kurz gesagt: jeder Millennial hat seine mit Dolby B produzierten Musik- und Hörspielcassetten damals fast immer mit ausgeschaltetem Dolby B angehört. Denn Dolby war eigentlich nur als der „Macht-alles-dumpf“-Schalter am Kassettendeck bekannt. Dabei lag das fast immer daran, dass das Ausgangssignal am Tonkopf des wiedergebenden Decks (sprich: am Eingang des Dolby-Dekoders) schlicht nicht mehr den gleichen Pegel hatte wie am Aufnahmekopf des aufnehmenden Decks (sprich: am Ausgang des Dolby-Enkoders). Aber das gesamte Kompandierungssystem basiert eben auf der Annahme, dass dies der Fall ist, denn ansonsten stimmen die Arbeitspunkte auf der Kennlinie nicht überein. Und leider ist diese Annahme naiv. Ohne einen bei der Aufnahme aufgebrachten Referenz-Pegelton, anhand dessen man den Dekoder im Wiedergabegerät (der dazu natürlich eine Einstellmöglichkeit für den Pegel haben müsste) einmessen könnte, hat man eigentlich keine Chance, außer „auf gut Glück“ zu hoffen, dass die Pegel zufällig irgendwie stimmen. Durch Magnetisierungsverluste und unterschiedliche Wirkungsgrade der Tonköpfe auf Aufnahme- und Wiedergabeseite und unterschiedliche Verstärkerschaltungen ist dies aber so gut wie nie der Fall.

Ein meines Erachtens völlig unterschätztes (und vor allem eigentlich recht leicht lösbares) Problem. Hätte einfach jeder Dolby-Dekoder einen kleinen Regler, mit dem die Kennlinie nach oben oder unten verschoben werden könnte, so könnte man den Referenzpegel an den tatsächlich auf dem Band vorhandenen Pegel anpassen und hätte dabei obendrein noch die Möglichkeit, gleichsam die Intensität der Rauschminderung stufenlos einzustellen. Das würde vermeiden, dass – wie sonst fast immer der Fall – der vom Band kommende Pegel zu niedrig für den Dolby-Dekoderschaltkreis ist und dieser daher in den oberen Frequenzen erst viel zu spät „aufmacht“ – und es daher fast immer dumpf klingt.

Für mich war es jedenfalls eine Offenbarung, mit dem oben genannten kostenlosen Plugin „Tape Restore Live“ die Möglichkeit zu haben, den Referenzpegel des in Software nachgebauten Dolby-Dekoders (der natürlich nicht so heißen darf) in Echtzeit einstellen zu können und dabei den „Algorithmus“ endlich zum ersten Mal wirklich arbeiten zu hören. Nur bei wirklich leisen Passagen werden die Höhen abgeregelt, sodass tatsächlich das Bandrauschen verschwindet – ansonsten bleiben die Höhen brillant und präsent. So war das also gedacht! Klingt richtig gut! Habe ich so leider noch nie bei einem echten Tapedeck erleben dürfen. Aber ich schweife ab!

Zurück zum Cassetten-Mechanismus im Panasonic RQ-2102: Schon als Kind fiel mir eine Besonderheit an diesem Laufwerk auf. Mein Bruder hatte ca. 3 Jahre später ebenfalls einen kleinen Mono-Cassettenrecorder bekommen, ein Modell von Grundig. Leider war dieses Gerät weitaus schlechter verarbeitet (und hat bis heute z.B. bereits ein paar Tasten verloren, auch wenn es grundsätzlich noch funktioniert). Bei diesem Gerät war es so, dass der Tonkopf und die Andruckrolle mechanisch fest mit der Mechanik der Play-Taste verkoppelt waren. Sprich: wenn man während des Abspielens mit dem Finger an der Play-Taste wackelte oder diese „nachdrückte“, konnte man das im Signal als Tonhöhenschwankung wahrnehmen.

Das war bei meinem Panasonic nicht der Fall. Drückte man hier die Play-Taste, so wurden Tonkopf und Andruckrolle erst ein paar Millisekunden später ganz an die Cassette gedrückt und waren dann mechanisch von der Play-Taste entkoppelt. Wackeln oder Nachdrücken der Taste hatte keinerlei Auswirkungen auf Signal oder Bandlauf.

Semi-Soft-Touch

Was das letztlich bedeutete, war mir als Kind natürlich nicht klar, von Begriffen wie „Soft Touch“ hatte ich noch nie gehört, aber mir war bewusst, dass der Startvorgang dieses Laufwerks irgendwie elektrisch unterstützt wurde. Dafür sprach auch, dass bei fehlender Stromversorgung der Tonkopf beim Drücken der Play-Taste nur halb zum Vorschein kam.

Mir war intuitiv klar, dass dieser Mechanismus qualitativ einen Vorteil gegenüber einfachen, rein mechanischen Konstruktionen bietet (der damalige, erste Recorder meines Bruders war von Anfang an natürlich „schlechter als meiner“, das war ja eh klar – tatsächlich hatte dieser nur einen einzigen technischen Vorteil, nämlich einen Stereo-Tonkopf, sodass man über den Kopfhöreranschluss tatsächlich Stereo hören konnte, das interessierte mich damals aber nicht).

Später bekam mein Bruder dann einen kleinen Radiorecorder – diesmal ebenfalls von Panasonic – geschenkt, der eine unglaubliche Ähnlichkeit mit meinem RQ-2102 hatte und den Stein zu all meinen Cassettenlaufwerksgedanken irgendwie ins Rollen brachte – aber dazu weiter unten mehr, ich schweife schon wieder etwas ab, daher möchte ich jetzt erst einmal alles an Wissen zusammentragen, was mir heute zu dem Laufwerk im RQ-2102 bekannt ist.

Das Wichtigste gleich vorneweg: mittlerweile weiß ich wohl, wie der Mechanismus wirklich heißt. Seine offizielle Bezeichnung von Panasonic/Matsushita lautet „SG-20“ (auch „SG20“). Das Service-Manual des RQ-2102, wohl eines der ersten Geräte, in dem dieser Mechanismus verbaut ist, spricht auch vom „New Mechanism (SG-20)“.

Das allererste Gerät mit dem SG-20-Mechanismus könnte (ich kann das nicht nachprüfen) ein Panasonic SG-20 selbst gewesen ein: Panasonic hatte unter diesem Namen einmal einen HiFi-Stereo-Receiver mit eingebautem Cassettendeck im Programm. Dieser Link zeigt ein Foto des Geräts auf einem Service-Manual, und die Anordnung und Beschriftung der Tasten ist exakt identisch zu allen anderen mir bekannten Modellen, in denen der SG-20-Mechanismus verbaut ist.

Der Mechanismus hat eine extrem hohe Qualität für das Segment, in dem er damals und auch noch später lange verkauft wurde. Das spiegelt sich in guten Gleichlaufwerten und mechanischer Entkopplung von den Transportknöpfen wider – wie bei den sogenannten „Soft-Touch“-Laufwerken. Letztgenannte haben im Allgemeinen ja einen gar nicht mal so guten Ruf und gelten als mechanisch überkomplex und störanfällig – etwas, das auf den hier besprochenen Mechanismus aber absolut nicht zutrifft!

Mir ist bis heute unbekannt, ob dieser damals „neue Mechanismus“ überhaupt tatsächlich in die Kategorie „Soft Touch“ fällt, denn der Aspekt, dass das Drücken der Play-Taste leichter ginge, ist hier nicht wirklich erfüllt. Vielmehr wird beim Druck der Play-Taste tatsächlich mechanisch einiges „bewegt“ – bis zu einem gewissen Punkt, an dem dann der Motor startet und den Rest erledigt. Daher bezeichne ich den Mechanismus eben auch gerne als „Semi-Soft-Touch“-Mechanismus.

Die Pause-Taste ist ein rein elektrischer Kontakt, der vermutlich über einen Elektromagneten das Laufwerk zwischen dem Zustand wie vor dem Einsetzen der Soft-Touch-Unterstützung beim Druck auf die „Play“-Taste und dem Play-Betriebszustand wechselt. Das legt nahe, dass die Pause-Funktion rein theoretisch fernbedient werden kann, und das Vorhandensein einer kleinen 2,5mm-Klinkenöffnung neben dem Mikrofoneingang lässt vermuten, dass ein Reportagemikrofon mit Fernbedienung für den RQ-2102 existiert, bei dem mit einem Schalter am Mikrofon das Laufwerk von „Play“ auf „Pause“ umgeschaltet werden kann, oder dass es zumindest ähnliche Modelle gab, die dieses Feature besaßen.

Das verwendete Gummimaterial für die Andruckrolle ist beim SG-20 glücklicherweise von der absolut langlebigen (man kann nach all den Jahren wohl guten Gewissens vermuten: dauerhaft haltbaren) Sorte. Alle mir bekannten Exemplare dieses Laufwerks haben nach wie vor griffigen, nicht ausgetrockneten und auch nicht ausgehärteten Gummi, auch nach mehr als 30 Jahren! Ganz im Gegensatz zu einem anderen sehr populären Mechanismus aus dem Hause Panasonic/Technics: dem späterem „AR-1“-Mechanismus (vollelektronisch/logic control, mit Autoreverse, kam aber auch in Varianten ohne Autoreverse zum Einsatz). In diesem wurden leider Andruckrollen verwendet, die ausnahmslos alle innerhalb von ca. 10 Jahren vollständig ausgehärtet und deformiert waren, sodass diese Laufwerke ein Garant für zerstörte Cassetten sind, wenn man sie nach so vielen Jahren einfach unbesehen benutzt. Auch von Matsushita vertriebene Original-Ersatzandruckrollen sind leider aus diesem völlig ungeeigneten Material und härten immer wieder aus. Es existieren zum Glück Ersatzteile auf dem Drittmarkt, die scheinbar länger halten. Diese Materialentscheidung beim AR-1 ist mir bis heute ein Rätsel, zumal das Problem ja – wie man am SG-20 in meinem RQ-2102, der bis heute spielt, sehen kann – eigentlich ein Gelöstes ist.

Der SG-20-Mechanismus verwendet darüber hinaus einen guten Motor, in einigen Varianten sogar einen elektromagnetischen Löschkopf (beim RQ-2102 aber nur einen Permanentmagneten), ein Metall-Schwungrad (zumindest in den ersten Jahren, bei späteren Versionen fehlt die Metall-Schwungmasse an der „Capstan Shaft/Flywheel Assembly“, Teilenummer RXF0012) und es wurden qualitativ hochwertige Tonköpfe (teils verbunden mit einer AC-Bias-Vormagnetisierungsschaltung) verbaut – alles Punkte, die schon damals nicht selbstverständlich waren, heute aber ganz und gar exotisch wären. Geräte wurden früher eben so entwickelt, dass das Maximum an Qualität aus dem vorgesehenen Entwicklungs- und Fertigungsbudget herausgeholt wurde, nicht bei gleichem Verkaufspreis die maximale Gewinnmarge, die unter Berücksichtigung der gesetzlichen Gewährleistung von 24 Monaten erzielt werden kann, wie es heute leider der Fall ist.

Noch ein nettes Feature: drückt man während des Abspielens auf die Vor- oder Rückspultaste und hält diese gedrückt, ist es möglich, unter Mithören des Signals zu spulen, dabei wird der Kopf wiederum elektromechanisch leicht vom Band abgehoben – dieses Feature würde mit geeigneter elektronischer Unterstützung gar eine „AMS“-Funktion ermöglichen.

Weil der Mechanismus elektrische Unterstützung benötigt, um nach dem Druck auf die Play-Taste die Kopfeinheit anzukoppeln, kann es in seltenen Fällen dazu kommen, dass bei einem Stromausfall der Mechanismus in einen Zustand gerät, in dem er nicht mehr durch Druck auf „Stop/Eject“ in den Ursprungszustand zurückspringt und dann ggf. eine Kassette nicht mehr entnommen werden kann, bis wieder Strom zur Verfügung steht. Deshalb haben der RQ-2102 und (fast) alle anderen Geräte, die das gleiche Laufwerk besitzen, irgendwo im Gehäuse eine kleine Öffnung, durch die im Notfall mit einem kleinen Schraubenzieher das Schwungrad ein wenig weitergedreht werden kann, bis der Mechanismus wieder in den Ausgangszustand zurückspringt.

Jetzt zu meiner Andeutung von oben: es gab nämlich in meiner „Familien-HiFi-Geschichte“, bereits noch während meiner Jugend, ein weiteres Exemplar dieses Laufwerks. Ihr ahnt es vielleicht schon – genau. Mein Bruder bekam irgendwann um 1998 herum als Nachfolger seines alten Grundig-Recorders einen kleinen Stereo-Radiorecorder geschenkt, diesmal auch von Panasonic, und zwar einen RX-FS430. Und – guess what! – dieses Gerät beherbergte ebenfalls „Semi-Soft-Touch“-Mechanismus, der sich in allen Belangen exakt gleich wie der des RQ-2102 verhielt, aber eben einen Stereo-Kopf besaß. Die Geräusche des Laufwerks beim Starten und Stoppen, die leichtgängige Pause-Taste und auch die „Notfall-Öffnung“ auf der dem Cassettenfach gegenüberliegenden Gehäuseseite (in dem Falle die Rückseite) – all das war vertraut und glich meinem RQ-2102 bis aufs Haar. Diese Tatsache – dass sich eben die beiden Laufwerke aus dem RQ-2102 und dem RX-FS430 meines Bruders so gleich verhielten und mechanisch so gleich klangen – war es übrigens erst, die mich als damals so 12-Jährigen überhaupt dazu veranlasste, darüber nachzudenken, dass Cassetten-Mechanismen als separate Baugruppen von verschiedenen Herstellern über verschiedene Recordermodelle hinweg eingesetzt wurden. Und mir generell Gedanken über mechanische und elektrische Kompatibilität, Normen, Standards und so weiter zu machen. Der kleine Ingenieur und seine kleinen „Mindblow“-Momente halt…

Wer war der letzte seiner Art?

Ihr habt wirklich bis hierhin weitergelesen? Das ist cool, danke – denn jetzt wird es besonders spannend.

In der bereits angesprochenen Retro-Tape-Enthusiasten-Szene galt es viele Jahre als Faktum, dass so ca. seit dem Jahr 2010 keine anderen Cassetten-Mechanismen mehr hergestellt werden, als genau ein einziger aus dem Hause „Tanashin“ (und dessen Klone und Kopien, die dann noch billiger und minderwertiger waren). Dieser Mechanismus ist funktional und wohl im Grunde ganz in Ordnung, aber natürlich bietet er nur das absolute Minimum. Er ist ein rein mechanische Konstruktion ohne jedwede Soft-Touch-Unterstützung, muss oft mit Plastik-Schwungrädern auskommen usw., und er kam in allem zum Einsatz, was heutzutage so auf dem Markt ist: von der billigen „USB-Kassetten-Digitalisierungs“-Kiste, über jede einzelne der diversen Cassetten-Boomboxen auf Amazon, bis hin zum eigentlich als High-End-Produkt gedachten Tascam-Deck.

Bis Techmoan im Jahr 2020 ein Video veröffentlichte, in dem er eine damals immer noch neu erhältliche „Boombox“ von Panasonic namens RX-D55 (bzw. in Europa RX-D55A, genauer RX-D55AEG-K) testete und für ihre – für heutige Verhältnisse – guten Eigenschaften bezüglich des Cassetten-Teils lobte. Wir waren damals auf der Suche nach einer anständigen Kinderzimmer-Mini-Anlage, die CDs, MP3-CDs, MP3-USB-Sticks und idealerweise eben auch unsere alten Kindercassetten abspielen konnte, sodass dieses Teil ohnehin in meiner engeren Auswahl stand…

Gekauft war das Ding dann sofort, als ich in Techmoans Video das vertraute Geräusch hörte, das nach dem Druck auf den „Play“-Knopf ertönt: das satte, von einem leisen elektromechanischen Summen begleitete Einrasten der Kopfeinheit in der Wiedergabeposition. Mir war sofort klar: hier ist der gleiche Mechanismus am Werk wie in meinem RQ-2102 – wenn ich meinen Kindern die Möglichkeit geben möchte, alte (und neue) Cassetten in guter Qualität wiederzugeben, dann muss es dieses Gerät sein!

Was man im Jahr 2021 noch kaufen konnte…

Als das Gerät ankam, war klar: es ist tatsächlich ein nagelneues Exemplar des altbewährten und toll entwickelten Semi-Soft-Touch-Mechanismus. Nicht nur am Verhalten und den Geräuschen zu erkennen, sondern auch an der charakteristischen Feder links von der Tonwelle (zu sehen im Bild ganz oben beim RQ-2102).

Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: 2021, also fast 30 Jahre, nachdem ich meinen ersten Cassettenrecorder bekam, kaufe ich einen nagelneuen Recorder von der gleichen Firma und er enthält exakt das gleiche Laufwerk mit all seinen Vorzügen. Noch besser aber: es war damit eindeutig widerlegt, dass zu dem Zeitpunkt der „berüchtigte“ Tanashin-Mechanismus der einzige noch verkaufte Cassettenmechanismus auf dieser Welt wäre. Gut, der Panasonic RX-D55 war 2021 alles andere als taufrisch, ich schätze, das Gerät muss so um ca. 2011 herum entwickelt worden sein, aber was Panasonic da verkaufte, war definitiv keine abgestandene Lagerware. Ich gehe von einem Produktionsdatum um 2019 herum aus. Man kann also konstatieren, dass mindestens bis ins Jahr 2021 noch ein weiterer Cassettenmechanismus neben dem „Tanashin“ und seinen Nachahmern produziert oder zumindest verkauft wurde, allerdings nicht in Lizenz in Produkten anderer Hersteller, sondern ausschließlich in Geräten von Panasonic selbst.

Ich kann allerdings nicht unerwähnt lassen, dass auch an Panasonic natürlich die letzten Jahrzehnte in Sachen Verarbeitungsqualität und Sparzwang (oder sollte ich lieber sagen Gewinnmaximierungsstreben?) nicht vorbeigegangen sind. Natürlich ist hier die spätere Revision des SG-20-Mechanismus verbaut, bei der das Schwungrad fast nur noch aus Plastik besteht, was dem Gleichlauf und der Tonqualität zwar keinerlei Abbruch tut, aber dennoch eine Erwähnung wert ist. Und leider scheint auch die Verarbeitungsqualität des Geräts nicht unbedingt gleichbleibend hoch zu sein. Das erste Gerät musste ich wieder einschicken, weil der Motor ein unglaublich lautes Laufgeräusch hatte – hier schleifte ganz klar etwas, Metall auf Metall. Das zweite Gerät dann hatte das Problem, dass die CD-Schublade nicht sauber öffnete und schloss, weshalb es ebenfalls retourniert wurde. Erst das dritte Gerät lief zufriedenstellend, hatte aber ebenfalls einen kleinen Mangel, den auch die vorigen – mehr oder weniger stark ausgeprägt – hatten und der wohl auf eine achtlose Konstruktion zurückzuführen ist:

Die Tür des Cassettenfachs rastet bereits in einer Position ein, in der die Führungsschienen für die Cassette noch nicht den Boden des Fachs gänzlich berühren, die Klappe also im Grunde noch nicht ganz geschlossen ist. Das hat zur Folge, dass die Cassette im Fach immer ganz leicht angehoben wird (dazu noch leicht schräg liegt) und das Band nicht in der Idealposition am Tonkopf vorbeiläuft. Es kommt dadurch zu Spurlage- und Azimuthproblemen – die Höhen fallen extrem ab. Alle, die dieses Gerät ihr Eigen nennen, sollten das einmal probieren: während des Abspielens einer Cassette das Fach mit der Hand behutsam noch etwas weiter „zudrücken“ – ihr werdet feststellen, dass die Tonqualität dadurch extrem verbessert werden kann (je nach Fertigungstoleranz, bei einigen Geräten ist der Effekt stärker, bei anderen weniger stark).

Konstruktions- und Fertigungsprobleme: Es ist eben doch nicht mehr 1993…

Abhilfe schafft ein auf die Verriegelungsnase der Cassettentür innen aufgeklebtes Stückchen Plastik, welches diese dicker macht und daher dafür sorgt, dass die Klappe weiter hinuntergedrückt werden muss, bevor sie einrastet. (Wichtig: natürlich geschehen alle derartigen Modifikationen vollständig auf eigene Gefahr und eigenes Risiko; es versteht sich von selbst, dass die Gewährleistung durch solche Veränderungen erlöschen kann).

Da ich das letzte Gerät nach den zwei erfolgten Austauschaktionen nicht schon wieder einschicken wollte, habe ich das Gerät kurzerhand auf die beschriebene Weise modifiziert und wir sind seitdem vollkommen glücklich damit (bis auf den letzten, bei uns – wegen nur sehr seltener Radionutzung durch die Kinder – vollständig verschmerzbaren Mangel des leider nur als miserabel zu bezeichnenden UKW-Empfangs).

Aber CD, MP3-CD, USB und Cassette bieten mit dem Gerät ein tadelloses Ergebnis!

Schreibe ich das, um Werbung für das Gerät zu machen? Auf diese Idee käme ich niemals, wer mich kennt, weiß das, weil mich jede Form von Werbung (im kommerziellen Sinne) nervt. Außerdem käme jeder, der das Gerät noch neu ergattern möchte, ohnehin zu spät: 2021 hat Panasonic das gute Stück leider sang- und klanglos aus dem Produktportfolio gestrichen.

Und nach dem erwähnten Techmoan-Video ist das Gerät natürlich auch auf dem Gebrauchtmarkt etwas begehrter geworden. Ich würde es dort jedoch weiterhin – mit den kleinen erwähnten Abstrichen, die sich aber mit etwas Geschick beheben lassen – wärmstens empfehlen.

Bleibt mir diese Geschichte nur noch abzurunden mit ein paar weiteren „Cassette Mech Trivia“ aus der Panasonic-/Technics-Familie: der hier beschriebene „Semi-Soft-Touch“-Mechanismus (SG-20) ist nach meinen eigenen Recherchen mindestens in 5 Modellen von Panasonic (vermutlich weit mehr) zum Einsatz gekommen. Mir bekannte Geräte, in denen der SG-20 zum Einsatz kam, sind z.B. RQ-2102, RX-DS15, RX-M40, RX-FS430, RX-FS440, RX-D50, aber vermutlich noch viele weitere mehr.

Der neuere, oben erwähnte AR-1-Mechanismus, der vollständig elektronisch gesteuert wird, kam in unzähligen Geräten von Panasonic zum Einsatz, und zwar in verschiedenen Varianten. Die „Brot-und-Butter“-Variante war die Variante mit Autoreverse-Mechanik und dementsprechend zwei Andruckrollen aus leider sehr schnell aushärtendem Material, sie kam u.a. in diversen Micro-HiFi-Anlagen von Panasonic zum Einsatz (darunter auch die späteren Slot-In-Modelle) sowie auch in kleineren Radiorecordern und Boomboxen der gleichen Marke, teils solchen mit Fernbedienung. Der Mechanismus, der einen ganz leichten Hang dazu aufweist, dem Attribut „overengineered“ zu entsprechen, wurde aber auch bis hin zu den damaligen High-End-Doppelkassettendecks von Technics, wie dem RX-TR575 und Konsorten, verbaut. Außerdem bildet er meines Wissens die Grundlage der späteren Matsushita-DCC-Laufwerke (Digital Compact Cassette).

Eine abgespeckte Variante des AR-1, die ihrer Autoreverse-Fähigkeiten beraubt wurde (dazu wurde schlicht eine der Andruckrollen weggelassen und der Tonkopf statt auf dem elektromagnetisch drehbaren auf einem starren Plastikgestell montiert) kam in einigen Panasonic-Midi- und Mini-Systemen der 2000er-Jahre zum Einsatz, wie dem SA-AK200. An den charakteristisch klackernden und klickenden Geräuschen dieses Mechanismus erkennt man sie aber sofort.

Genau, wie man den „Semi-Soft-Touch“-Mechanismus SG-20 an seinem charakteristischen, verzögerten und von einem sonoren Geräusch begleiteten Einrasten des Tonkopfes erkennt.

Ich habe übrigens überlegt, ein elaboriertes YouTube-Video zu erstellen, das all die verschiedenen Geräte, um die es hier geht (natürlich vor allem den RQ-2102) in Aktion zeigt, ihre Laufwerksgeräusche, Tasten usw. vergleicht – aber wie ihr euch vorstellen könnt, ist es zu diesen „Klassikern“ dann doch schon so einiges an Videos vorhanden. Ich will nicht ausschließen, dass ich ein entsprechendes Video irgendwann nochmal mache, für jetzt würde ich mich aber mal auf Links zu gutem Anschauungs- und vor allem Anhörungsmaterial (Laufwerksgeräusche usw.) beschränken: zum Beispiel hier (komplette Demo des RQ-2102 inkl. Einblick ins Innere), hier (zeigt das Geräusch und die Verzögerung bei Nutzung der Pause-Taste), hier, hier, hier (RX-FS430 in Aktion mit dem gleichen, charakteristischen Play-Geräusch) und hier (Einblick in den RX-FS430).

Ich hoffe jedenfalls ganz stark, dass Geräte mit diesem Laufwerk noch lange erhalten bleiben und ihren Nutzer*innen, genau wie mir und meiner Familie, weiterhin viel Freude bereiten – auch und gerade „in Zeiten wie diesen“.

Macht’s gut, bleibt stabil & gesund, es grüßt euch euer
Fabian

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In eigener Sache

Ein frohes 2025!

Liebe Freunde und Bekannte, liebe zufällig Vorbeisurfende, liebe Alle,

ich möchte euch von Herzen ein gutes, gesundes, glückliches und friedvolles Jahr 2025 wünschen.

Auch im neuen Jahr wird es mir eine Freude sein, euch hin und wieder auf meinen Seiten begrüßen zu dürfen und ich freue mich auch weiterhin immer über euer Feedback. Auf bald!

Euer Fabian

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Hard- & Software In eigener Sache Kurzmeldung

Kurz notiert: Broadcast-Tools aktualisiert

Für die Tools „Duo“ und „VCPAXTest“ stehen im Bereich „Tools for Broadcasters & Creators“ aktualisierte Versionen bereit.

Duo 1.2.0.236 verbessert die Kompatibilität mit HTTPS-Servern, die so konfiguriert sind, dass sie ein TLS-Clientzertifikat zwar (optional) anfordern, dieses aber gar nicht benötigen. Die bisher verwendete API konnte diesen Fall nicht korrekt behandeln. Außerdem wurde ein neuer Tastaturbefehl hinzugefügt sowie die Fenstergröße und Schriftart des Konsolenfensters angepasst.

VCPAXTest 1.3.0.10 behebt einen Fehler, der es unmöglich machte, das Programm auf Systemen mit riesigen Bildschirmauflösungen (>16000 Pixel Breite, z.B. auf LED-Wänden) überhaupt zu starten.

Details finden sich in den jeweiligen Release Notes (jeweils in der Datei history.txt). Wie immer freue ich mich über Feedback.

An dieser Stelle dann schon einmal frohe und besinnliche Feiertage und einen guten Rutsch!

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Gesellschaft Medien

Offener Brief an die Rundfunk­kommission der Länder

Mainz, den 04.10.2024

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte es kurz und knapp halten: wenn es bei der Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nur noch darum geht, Kosten zu sparen, um einer bestimmten politischen Strömung nach dem Mund zu reden, vor der unsere Rundfunkanstalten (leider wohl nicht zu Unrecht) eine nicht greifbare Angst verspüren, und dies dann letztlich auf Kosten des wichtigsten seelischen Guts, nämlich der Kultur, geht – natürlich spreche ich hier über den Vorschlag der Streichung des Europäischen Satelliten-Gemeinschaftsprogramms „3sat“ – dann ist die Strategie der Populisten leider bereits aufgegangen; dann ist es mit der Kultur in unserem Land nicht mehr weit her.

Dann ist der Weg geebnet zur – es tut mir leid, dieses Wort nutzen zu müssen – Volksverdummung. Wenn uns die Kultur, die eigentlich das Wichtigste ist, das den Menschen ausmacht, nichts mehr wert ist, dann habe ich wenig bis keine Hoffnung mehr, weder darauf, dass „am Ende noch alles gut wird“, noch darauf, dass es dann wohl noch nicht das Ende sei.

Ich appelliere aufs Eindringlichste an Sie, dem so immens wichtigen Journalismus über die Kultur und die Kulturschaffenden in unserem Lande und in ganz Europa nicht auch noch eine der letzten öffentlichen Bühnen zu entziehen und von dem Vorschlag der Einsparung dieses wichtigen Fernsehprogramms Abstand zu nehmen.

Mit freundlichen Grüßen
Fabian Schneider

Den obigen offenen Brief habe ich angesichts der aktuellen Planungen am 04.10.2024 an die Rundfunkkommission übermittelt und kann nur darum bitten, es mir gleichzutun und sich außerdem einer der verschiedenen Petitionen anzuschließen, z.B. dieser.

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Elektronik Hard- & Software Tech Story

SEAT MapCare: The care is a lie?

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[TL;DR]: Ihr habt einen SEAT aus den Jahren ca. 2016 bis 2019, wollt das Navi (nicht Navi Plus!) updaten und wisst nicht, ob ihr MapCare habt oder nicht? Kurze Antwort: ja, ihr hattet (ziemlich sicher) welches, aber es ist (ziemlich sicher) schon lange abgelaufen. Ist aber egal, fragt mal das Internet. Und macht vorher ein Backup eurer SD-Karte.

Wer ein Fahrzeug des VAG-Konzerns, genauer gesagt der Marken VW, Skoda oder SEAT, aus den Baujahren 2015 bis 2019 mit Navigationssystem sein eigen nennt, wird sicher früher oder später darüber gestolpert sein: man kann das jeweils aktuelle Kartenmaterial des Navigationssystems kostenlos von der Website des Fahrzeugherstellers herunterladen und somit sein Navi über die mitgelieferte SD-Karte jederzeit kostenlos auf dem aktuellen Stand halten.

So weit die Theorie, so weit technisch (eigentlich) einfach. ZIP-Datei runterladen, SD-Karte aus dem Auto raus und rein in den PC, Karte formatieren, Inhalt der neuen ZIP-Datei auf die Karte entpacken, und los geht’s.

Wären da nicht die Ideen der Autohersteller (insbesondere: der BWL-Strategen ebendort), die Verwendung beliebiger SD-Karten zu erschweren (Kopierschutz? Service-Fälle wegen ausfallender Billig-SD-Karten minimieren?) und vor allem: den Markt auch in diesem Bereich nochmal in Segmente zu unterteilen.

Zunächst einmal: es gibt für den Bauzeitraum zwischen ca. 2015 und 2019 zwei Arten von Navigationssystemen: das „Standard“- und das „High“-Navi. Das Standard-Navi heißt bei den verschiedenen Herstellern unterschiedlich, zum Beispiel „Discover Media“ (VW), „SEAT Navi“ bzw. „Navi 6P0“ (SEAT) oder „Amundsen“ (Skoda), wird/wurde von Technisat (Preh TechniSat Car Connect GmbH) gefertigt und heißt intern auch „MIB 2 Standard“ oder „MST2“.

Das „High“-Navi heißt je nach Hersteller „Discover Pro“ (VW), „SEAT Navi Plus“ (SEAT), „Columbus“ (Skoda) und wird intern als „MIB 2 High“ oder „MHI2“ bezeichnet. Gefertigt wurden diese Einheiten von Harman Becker Automotive Systems (ehemals Becker).

Und so sieht (sah) es dann in der offiziellen Kommunikation der Marken im Jahr 2017 aus:

  • Für das Kartenmaterial kann im „Standard“-Navi immer nur die mit dem Fahrzeug mitgelieferte SD-Karte oder eine nachgekaufte Original-SD-Karte des Fahrzeugherstellers verwendet werden (Begründung: Nur diese Karten sind getestet und dafür zertifiziert, den hohen thermischen und mechanischen Belastungen im Fahrzeug standzuhalten). Technisch wird dies über eine Abfrage der CID realisiert.
  • Bei Volkswagen: du darfst für „mindestens 3 Jahre“ nach Erstzulassung (das wurde je nach Händler nie näher spezifiziert) von der VW-Homepage nach Registrierung neue Karten runterladen, auf deine Original-SD-Karte laden und ab geht’s.
  • Bei Skoda: das gleiche, nur ist keine Registrierung nötig; dafür muss vor dem Download die Fahrgestellnummer (VIN) eingegeben werden. Offiziell war hier nie von einer Zeitbegrenzung der möglichen Updates die Rede, also im Prinzip sollte es eine „Lifetime“-Karten-Update-Garantie sein
  • Und jetzt kommt SEAT: Hier wurde nochmal differenziert (Stichwort Marktsegmentierung), und zwar je nachdem, ob beim Kauf des Fahrzeugs die Option „SEAT MapCare“ mitbestellt wurde oder nicht. Wenn ja: es ist angeblich so wie oben, also bei VW und Skoda. Update – kein Problem, go for it (für den Download der Karten ist bei SEAT nicht einmal irgendeine Anmeldung oder Eingabe der VIN nötig, die Karten sind auf www.seat.de frei herunterladbar). Wenn nein: keine Chance. Angeblich. (Und wenn du doch das Update auf deine SD-Karte lädst und kein Backup gemacht hast: Sorry, no Navi no more).

So weit die Theorie und das Marketing. Und jetzt wird es interessant: kauf mal einen Gebrauchtwagen, wie in unserem Falle einen SEAT Leon ST FR von 2017, aus zweiter oder dritter Hand und versuche herauszufinden, ob der Erstbesitzer damals „MapCare“ bestellt hatte oder nicht. Spoiler alert: schwierig. Aber auch Spoiler alert: je nach Navi ist es egal, aber der Reihe nach.

Hat man kein SEAT MapCare (und sagen kann einem das angeblich nur ein SEAT Händler, wenn man mit dem Wagen vorfährt und/oder die VIN nennt), so warnt SEAT auf seiner Homepage ausdrücklich davor, die Navigationsdaten herunterzuladen und auf seiner Original-SD-Karte zu überschreiben. Denn dann, so SEAT, seien die Navigationskarten unwiederbringlich zerstört und eine Nutzung im Fahrzeug ist nicht möglich. Nachkaufen von MapCare ist angeblich ebenfalls nicht oder nur zu horrenden Preisen (man munkelte vor Jahren mal was von 500 EUR) möglich.

Immerhin: es wird erklärt, wie man ein Backup von der Navi-SD-Karte macht (trivial – es reicht einfach, die enthaltenen Dateien komplett in einem Ordner auf dem PC oder einer externen Festplatte zu sichern) und im Fehlerfalle diese einfach wieder zurückspielt. Das sollte man auch tunlichst machen!

Wenn man aufpasst und ein Backup hat, kann einem so also nichts passieren.

Beste Voraussetzungen für Experimente, Deep Dive und ein bisschen Spaß am Gerät, oder? ?

Ein kleines bisschen Recherche im Netz und eigenes Probieren mit verschiedenen heruntergeladenen Kartenversionen (offiziell bei den Herstellern möglich und natürlich auch bei einschlägigen Web-Archiven in älteren Versionen vorhanden) zeigt schnell auf: auch ohne MapCare kann man etwas neuere als die Original-Karten durchaus verwenden, nur eben bis zu einem bestimmten Zeitpunkt. Aha!

Further down the rabbit hole wird man dann fündig und liest: die Tatsache, ob und wie lange (besser gesagt: wie oft bzw. wie viele Versionen in die Zukunft) man seine Karten updaten „darf“, ist über einen sogenannten „Feature Enablement Code“ (FEC) im Infotainmentsystem hinterlegt. Diese Codes sind Teil der vom VAG-Konzern als „Software as a Product“ (was für ein Name, oder?) – abgekürzt „SWaP“ – betitelten Strategie.

Und jetzt komm ich so langsam zur Pointe: da man sich mit sehr wenig Aufwand (langes Drücken der Menütaste und Auswahl der entsprechenden Option im erscheinenden Service-Menü) anzeigen lassen kann, welche FEC-Codes im eigenen Navi aktiviert sind und welche das System potentiell erkennen würde, kann man sich mit etwas Rumfragen im Freundeskreis recht einfach ein Bild machen, was bei welchen Fahrzeugen freigeschaltet ist und was nicht.

Bei SEAT-Fahrzeugen mit Standard-Navi ohne MapCare ist hier z.B. der Code 07400008 freigeschaltet. Laut Recherchen bedeutet dies: es sind 8 Karten-Updates möglich, oder anders gesagt: das Navi lädt Navigationsdaten, deren Versionsnummer maximal um 8 Nummern höher ist als die der auf der Original-SD-Karte hinterlegten.

Moment mal, und wie war das mit dem MapCare? War da nicht genau von „mindestens 3 Jahren“ Updates (bei zwei Updates pro Jahr also ungefähr 8 Updates) die Rede?

Und tatsächlich: vergleicht man das mit den Codes, die bei vergleichbaren Skoda- und VW-Fahrzeugen und auch bei SEAT-Fahrzeugen mit MapCare (aber Standard-Navi) serienmäßig installiert sind, stellt man fest: auch hier ist der entsprechende Code immer mit …008 hinterlegt (die Anfangsziffern unterscheiden sich ggf. bei VW und Skoda).

Und here’s the Point: so weit ich es sehe, gibt es scheinbar bei SEAT-Fahrzeugen mit dem „Standard“-Navi auf dem Gebrauchtmarkt, also „in the wild“, keinen Unterschied zwischen Fahrzeugen mit und ohne MapCare.

So sieht’s aus. The care is a lie!

(Meine Aussagen basieren auf eigenen Erfahrungswerten und haben keinen rechtsverbindlichen Charakter, sie sollen auch nicht implizieren, dass SEAT zu irgendeinem Zeitpunkt irgendwelche unwahren oder irreführenden Aussagen gemacht hätte; ich jedoch war durch die offiziellen SEAT-Informationen durchaus verwirrt).

Vermutlich basiert all die Verwirrung im Internet und auch bei Händlern auf einem großen Missverständnis: SEAT MapCare wurde vor allem für das SEAT Navi Plus angeboten. Hier verhält sich nämlich alles komplett anders. Also wirklich alles. Denn: das Navi hat eine interne Festplatte, auf die die Navigationsdaten kopiert werden, wenn man eine SD-Karte mit Navi-Daten einlegt. Man kann hierfür auch ein beliebige, eigene SD-Karte verwenden; sie wird danach auch nicht mehr benötigt, die Karten werden ja in den internen Speicher kopiert. Auch hier kann man die Daten kostenlos von der offiziellen SEAT-Website herunterladen und dann – sofern man MapCare hat – auf das Navi überspielen.

Aber: hier gibt es wohl tatsächlich Fahrzeuge mit „verlängertem“ oder gar „lebenslangem“ MapCare (der FEC-Code endet in diesem Fall wohl auf …EE und würde somit EEhex = 238dec Updates erlauben). Und, nun ja, anders bekommt man auch gar keine aktuellen Navi-Karten mehr auf diese Systeme. Ohne MapCare hat man hier also (wenn man nicht noch tiefer und dann durchaus auch in nicht ungefährliche Regionen „hinabsteigen“ möchte, siehe weiter unten) keine Chance.

Beim Standard-Navi nach offizieller Sprachregelung ja auch nicht: denn eigentlich ist bei jedem Fahrzeug „in the wild“, wenn man sich mal die Baujahre des MIB2-Navi ansieht, das MapCare (oder auch „nicht-MapCare“…) mit seinen immer 8 erlaubten Updates längst „abgelaufen“.

Was macht man da jetzt nun? Tja, ich will hier keine expliziten Anleitungen geben, denn etwas Experimentierfreude setze ich bei meinen Lesenden schon noch voraus und die profunde Fähigkeit zur Websuche.

Nur so viel: Mit einem normalen „MIB2 Standard“ bekommt man auch alle brandaktuellen Navi-Karten von der SEAT-Homepage (übrigens: die Dateien von SEAT, Skoda und VW sind vollkommen identisch) ans Laufen, sofern sie auf die Karte passen (die alten Karten sind mit 16 GB nämlich mittlerweile zu klein für ganz Europa, aber zum Glück bieten die Hersteller auch unterteilte Länderpakete an) – MapCare hin oder her.

Wichtig ist nur, dass man ein Backup der Original-SD-Karte hat. Ganz wichtig. Man braucht nur eine einzige Datei von der Original-Karte, aber die braucht man. Wie gesagt, MapCare hin oder her. Oder im Klartext: auch wenn ihr damals MapCare gebucht habt, müsst ihr den von mir jetzt mehrfach angedeuteten Trick bzw. Workaround (googelt einfach mal kreativ) mittlerweile anwenden, wenn euer Fahrzeug z.B. von 2017 ist. Ich glaube, mittlerweile ist das bei allen in Frage kommenden Fahrzeugen ausgelaufen.

Da SEAT das Update aber ja genau für Käufer der MapCare-Option bereitstellt, die ohne den Trick mittlerweile dennoch in die Röhre schauen, halte ich die Anwendung des Tricks im Übrigen für völlig legitim und unbedenklich und mir ist sogar zu Ohren gekommen, dass mittlerweile auch einige Autowerkstätten ihren Kunden dazu geraten haben sollen, genau so zu verfahren.

Wie gesagt: ich spreche vom normalen SEAT Navi und einem technisch völlig harmlosen, auch nicht durch irgendwelche EULAs oder das Urheberrecht ausgeschlossenen (im Sinne von: Reverse Engineering oder Disassemblierung usw.) Vorgang. Es wird einfach nur eine Datei aus dem Downloadpaket nicht mit entpackt und stattdessen die entsprechende Datei genutzt, die sich vorher schon auf der Original-SD-Karte befand. Easy. Safe. (Backup machen!).

Anders sieht es freilich beim SEAT Navi Plus aus, bei dem dieser Trick nicht funktioniert und man bei ausgelaufenem oder nicht vorhandenem MapCare den Weg zum Händler suchen muss, wenn man nicht mit (durchaus möglichen, aber sowohl technisch als auch rechtlich durchaus nicht unbedenklichen) Dingen wie Patchen der Firmware anfangen will (wovon ich aus den genannten Gründen ausdrücklich abrate). Das soll’s dann an dieser Stelle dazu auch gewesen sein…

Habt noch einen schönen Sommer!