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Medien Rezensionen & Reviews

Buchrezension: ZDF TV+Design

Über einen Sender, der meine Kindheit prägte, und über sein Design. Und über ein Buch darüber. Eine sehr persönliche Buchrezension mit ein paar Exkursen.

Dass ich vor einigen Monaten zum ersten Mal Werbung für das Buch „ZDF TV+Design“ in meine Instagram-Timeline gespült bekam, war wieder mal so einer der Fälle, wo man denkt, dass Microtargeting verdammt gut funktioniert und die Algorithmen wirklich gruselig genau wissen, wofür man sich interessiert…

Denn ja, es interessierte mich sehr! Ich, Kind der 80er, in Mainz und in einem ZDF-Mitarbeiter-Haushalt aufgewachsen, empfand mit dem ZDF und insbesondere seiner Ästhetik schon immer eine ganz besondere Verbindung. Ich muss wohl einige Male sehr anerkennende, „Haben-Wollen“ signalisierende Laute von mir gegeben und über das Buch gesprochen haben, und weil ich eine so aufmerksame Frau habe, bekam ich das Buch schließlich zum Geburtstag geschenkt. Wie von Geisterhand allerdings von meinen Eltern (man könnte meinen, meine Frau mag ihre Schwiegereltern sehr, so oft, wie die miteinander reden!) ;-)

Jedenfalls habe ich mich riesig darüber gefreut und natürlich sofort begonnen, das Werk minutiös zu degustieren. Eines direkt vorab: es lohnt sich auf allen Ebenen, ich empfehle das Buch uneingeschränkt und mit großer Freude weiter an alle, die sich für Design und Typographie, für Gebrauchsgrafik und Corporate Identity interessieren und/oder irgendetwas mit dem ZDF und seiner Geschichte verbinden.

„A5/11“

Nun aber zum Buch selbst. Es ist das elfte Buch der von Jens Müller herausgegebenen Reihe „A5“, die sich mit wichtigen Themen und Persönlichkeiten aus der Geschichte des internationalen Grafikdesigns beschäftigt und sich selbst als fortlaufend wachsendes Archiv versteht. Die Reihe, die in Kooperation mit dem Fachbereich Design an der Hochschule Düsseldorf sowie dem Fachbereich Design der Fachhochschule Dortmund entsteht, begann bei Lars Müller Publishers und wird mittlerweile beim Verlag OPTIK BOOKS fortgeführt.

Das Cover von A5/11: ZDF TV+Design (Quelle: OPTIK BOOKS)

Der Band „A5/11: ZDF TV+Design“ ist der erste und einzige aus der Reihe, den ich besitze, deshalb kann ich auf Reihe an sich gar nicht weiter eingehen und betrachte das Buch völlig für sich. Um es vorab zu sagen: ich finde es absolut lohnenswert, hochinteressant, schön gestaltet und mit vielen Beispielen sehr anschaulich.

Was ich beeindruckend fand, war, dass wirklich alle Ären des ZDF-Designs sehr umfassend besprochen und mit Bildern illustriert werden. Ich selbst habe als Kind noch die Ära miterlebt, in der Otl Aichers „ZDF“-Schriftzug in der charakteristischen, abgerundeten Schrift das Design prägten und quasi einziges verbindendes Element waren. Insbesondere die späteren „Erweiterungen“ dieses Schriftzuges mit abgerundeten 3D-Flächen in Glas-Optik sind mir prägend in Erinnerung geblieben.

Aber auch das danach folgende ZDF-„Auge“ ist mir immer noch präsent – das Buch enthält auch dessen Entstehungsgeschichte und Erklärung des Designers, sodass ich das Signet erst heute wirklich verstanden habe (16 Bundesländer schieben sich als „Scheiben“ übereinander, formen die Kugel, die für die Weltkugel steht, der äußere Kreis ist das Publikum und der asymmetrisch versetzte Kreis soll als verbindendes Element die Rundfunkwellen symbolisieren) – clever, aber doch recht abstrakt und komplex und nicht unbedingt sofort etwas, bei dem man an „Zweites Deutsches Fernsehen“ denkt.

Deshalb war 2001 ja das neue Signet mit der 2 als Z so treffend, so unverwechselbar und eindeutig, dass es bis heute Bestand hat und hoffentlich auch lange noch bleibt. Ich finde es zeitlos und sehr gelungen.

Meine eigenen Erfahrungen mit dem ZDF-Design

All dies, und eben auch alle Evolutionsschritte dazwischen, stellt das Buch in Text und Bild echt toll dar, natürlich insbesondere für alle, die „dabei“ waren und sich sowieso schon immer dafür interessiert haben (und sich deshalb auch noch lebhaft selbst an die verschiedenen Design-Elemente erinnern). So zum Beispiel auch die Design-Epoche mit den verschiedenen bunten „Farbwelten“ für die verschiedenen Genres, bei dem das Augen-Signet als abstrakt „waberndes“ 3D-Elemnet in den Hintergrund trat und der Schriftzug „Das ZDF“ die Marke repräsentierte. Fand ich damals auch gut. Natürlich war der Schriftzug immer noch in der Otl-Aicher-Schrift gehalten. Übrigens auch etwas, das ich generell sehr zu schätzen weiß: das mutigste Redesign ist immer das, das sich traut, auch an Altem festzuhalten und es selbstbewusst für sich stehen zu lassen.

Und über Jahrzehnte hinweg – bis zur Einführung des heutigen Logos – war das ZDF-Design vor allem durch das Festhalten an dieser charakteristischen Schriftart geprägt. Selbst in dediziert neu gestalteten On-Air-Designs – wie beispielsweise dem heutzutage leider ziemlich in Vergessenheit geratenen „heute“-Design von 1998 und den daran angelehnten Ablegern wie dem Mittagsmagazin und auch dem Sport-Design aus dieser Epoche. Die Sendungstitel waren in – teils grafisch bearbeiteten, z.B. mit „angeschnittenen“ Ecken dargestellten – Typen der Otl-Aicher-Schrift gehalten, während Schrift-Inserts bereits in einer Swiss/Helvetica-ähnlichen Schrift, vor allem im Kursivschnitt, gehalten waren. Dieses Nachrichtendesign von 1998, in grün-blau gehalten, mit der Weltkugel als zentralem Gestaltungsmerkmal, die mit dem Kugel-und-Kreise-Signet als Animationselement spielt, verschiedene Farbakzente für die Sendungen „heute“ (blau), „heute journal“ (orange), „heute mittag“ (gelb) usw. einführt, und eben diese Mischung aus alter Schrift und neuen Elementen nutzt war für mich eine der prägendsten Neuerungen in der deutschen TV-Landschaft der späten 90er-Jahre.

Ich erinnere mich noch genau, wie ich auf die erste Sendung aus der neuen Studio-Deko hingefiebert und diese dann sogar unterwegs – gemeinsam mit meinem Vater war ich auf einem Kurztrip nach Paderborn ins Heinrich-Nixdorf-Museums-Forum – abends im Zimmer unserer Frühstückspension auf dem kleinen, transportablen LCD-Fernseher geschaut habe. (Side Note: diese Dinger waren damals zwar der totale High-Tech und „die Zukunft“, aber halt qualitativ grottenschlecht. Farben konnte man zwar erahnen, aber nur, wenn man sich exakt im richtigen Winkel zum Briefmarkengroßen Display befand… trotzdem war es ein Erlebnis).

Tja, bereits 2001 wurde dieses Design dann im Rahmen des großen ZDF-Logo-Redesigns wieder abgelöst – wenn auch die Studio-Deko in ihrer Struktur erhalten blieb und nur mit neuen Materialien, Grafiken und Folien überklebt wurde und der Tisch umgestaltet wurde – aber es wurde eine ganz neue Farbwelt daraus: warme Holztöne, und dann der wunderbare Kontrast aus dem dunklen Nachrichten-Weltkugel-Blau und dem frischen neuen ZDF-Logo-Orange. Ja, das 2001er-Design war definitiv edel und sehr, sehr schön. Es wurde etwas Gutes mit etwas anderem Guten abgelöst, das ist es, warum mich dieser Designwechsel damals wie heute immer noch nicht kaltlässt.

Das Blau-Orange-Spiel hat dann ja auch immerhin bis 2009 sehr gut funktioniert, und ich habe es von Anfang bis Ende geliebt. Aber – wie gesagt: ich fand von Beginn an, dass es zwar absolut das Richtige, aber nicht per se besser als das Vorgängerdesign war.

Was ich damit vor allem sagen will: das 1998er-heute-Design hat einfach, auch retrospektiv, nie die Aufmerksamkeit und Anerkennung gefunden, die es meiner Meinung nach verdient gehabt hätte. Aufmerksamkeit, die es auch deshalb verdient hat, weil es – meiner Information nach – vollständig „inhouse“ und mit eher kleinem Budget entstanden ist und eben noch mit den althergebrachten Elementen (Kreise-Signet, Rundschrift) arbeitete, diese aber mit Neuem (Farbwelt, Weltkugel) verband und so eine ganz unverwechselbare Designwelt schuf.

Aufmerksamkeit, die es aber deshalb nicht lange bekam, weil eben 2001 etwas kam, das so stimmig und ebenfalls gut war, dass man den Vorgänger schnell vergaß, was ihm aber absolut unrecht tut.

Und, was im Übrigen auch gerne vergessen wird: das Design von 1998 ist deshalb retrospektiv wichtig, weil es einen ganz neuen, orchestralen Nachrichten-Sound im deutschen Fernsehen etablierte, der auf symphonischen Samples basierte (das vorige heute-Signet war 80er-typisch komplett synthie-basiert – was natürlich auch cool war, und die Tagesschau mit ihren synthetischen Bläsern wirkte auch eher bieder). Das neue orchestrale Thema von 1998 ließ mir damals auch ziemlich die Kinnlade runterklappen, kannte man so etwas doch bisher eigentlich nur aus dem amerikanischen Fernsehen.

Erwähnenswert ist das auch deshalb, weil das Design von 2001 die Melodien und Themes nahezu vollständig übernahm, sie nur nochmals – zeittypisch – mit etwas mehr „Wumms“ versah. Bis auf eine Ausnahme: das „heute journal“-Thema wurde komplett ersetzt, sodass man sagen kann, dass die 1998er-Variante die letzte war, die die ikonische Journal-Melodie beinhaltete (daaa – di – daaa, da da da daaaa, ihr wisst schon…). Die Version von 2001 führte für das Journal ein neues Thema ein, das – wiederum – ebenfalls hervorragend und episch war, sodass auch hier gesagt werden kann: etwas sehr sehr Gutes wurde durch etwas anderes, sehr sehr Gutes ersetzt. Im Nachhinein kann man sagen: passt schon. Das erste Gute hätte nur vielleicht ein paar Jahre mehr auf dem Sender verdient gehabt…

Ich merke gerade, dass meine Rezension zum Buch eigentlich gerade selbst zur Designkritik des ZDF-Designs und insbesondere zur Schwärmerei für die „heute“-Ära 1998-2001 wird, aber das musste gerade sein, und Kritik an einem Designbuch und Kritik am Design, das es behandelt, geht wohl manchmal nur Hand in Hand. Wie bin ich überhaupt darauf gekommen? Ach ja, ich wollte hervorheben, dass Aichers Schrift selbst im Jahr 1998, ja im Grunde bis 2001, noch eine zentrale Rolle spielte. Wer sich im Übrigen intensiver für Otl Aichers Einfluss und seinen ursprünglichen Entwurf und dessen Präsentation interessiert, dem sei dieser – reich bebilderte – Artikel wärmstens ans Herz gelegt, der ebenfalls vom Herausgeber des Buches stammt.

Also weiter im Text: Es werden in Müllers Buch natürlich auch die neuesten Entwicklungsschritte, also auch auch das Redesign im virtuellen Nachrichtenstudio (2021) und die Einführung der neuen, an die Helvetica angelehnten, Hausschrift thematisiert.

Und wieder zum ZDF-Design selbst: Das mit der neuen Hausschrift – ein Schritt, den ich zwiegespalten sehe. Das neue News-Design gefällt mir, keine Frage, aber die Abkehr von Helvetica ist für mich immer ein Abschied mit weinendem Auge. Ich will nicht sagen, dass die Helvetica das Non-Plus-Ultra für alle Anwendungen ist, aber wenn ein Design einmal mit der Helvetica funktioniert, dann gibt es wenig, was über diesen „Peak Typography“ hinauswachsen kann. Daher ist das Beste, was ich der neuen Schrift abgewinnen kann, dass sie nur behutsam vom Helvetica-Look weggeht und natürlich die praktischen Vorteile einer Uniwidth-Schrift sowie eine optimierte Lesbarkeit (I vs. l usw.) besitzt. Aber leider ist genau der letzte Punkt auch der, der mich furchtbar an der neuen Schrift stört.

Denn es gibt nichts, was ich fürchterlicher finde, als serifenlose Schriften, die dann aber bei der „I“-Versalie doch Serifen haben. Das finde ich irgendwie… nicht richtig.

Nun ja, aber auch daran gewöhnt man sich auch, wie auch an die Tatsache, dass die Schrift in verschiedenen Schnitten mal den Bogen am kleinen „l“ hat und mal nicht.

Aber zurück zum Buch: all das wird wirklich schön dargestellt, nachgezeichnet und illustriert. Die grafische Gestaltung und die Produktion mit Poster-Umschlag wirken wertig. Die Interviews mit Zeitzeug*innen sind hochinteressant.

Es wird sogar ein kleiner Exkurs zum 3sat-Design gemacht, mit dem man an sich schon ein Buch füllen könnte (was auch so angemerkt wird – das lässt hoffen). Das 3sat-Design hat nämlich auch einige wirkliche Perlen zu bieten und Geschichten zu erzählen. Ich denke da vor allem an die damals designmäßig revolutionäre Sendung „kulturzeit„, die 1995 meines Erachtens Designmaßstäbe im deutschen Fernsehen setzte und auch, wenn ich mich recht entsinne, eine der ersten, wenn nicht die erste war, die im 16:9-PALplus-Verfahren ausgestrahlt wurde. Aber wie gesagt – das 3sat-Design wäre Stoff für einen eigenen Band

Zum Schluss geht das Buch noch auf die verschiedenen Designs der ZDF-Spartenkanäle (ZDFinfo, ZDFneo, ZDFtheaterkanal bzw. ZDFkultur) und deren Geschichte ein – ein gelungener Abschluss, der das Buch insgesamt zu einer sehr runden Sache macht.

Lob und Kritik

Bei allem Lob muss ich am Schluss leider aber auch auf zwei Wermutstropfen zu sprechen kommen, die das Buch für mich keineswegs weniger lohnenswert machen, mich aber dennoch gestört haben. Zum einen muss man leider sagen, dass sich in den deutschen Texten ziemlich viele Rechtschreib- und Interpunktionsfehler eingeschlichen haben. Zu viele (und auch teils peinliche wie das „verpöhnte“ mit „h“ auf Seite 98) für meinen Geschmack. Keine Angst, ich bin niemand, der einen Text dafür verteufelt oder verurteilt, aber ich gehöre doch zu denen, die so etwas einfach beim Lesen stört und die sich fragen, ob man nicht mit etwas mehr Sorgfalt den einen oder anderen Fehlerteufel hätte vor dem Druck hätte austreiben können. Das Impressum erwähnt ein Lektorat für die englischsprachigen Texte, das lässt vermuten, dass man für die deutschen Texte auf einen dedizierten Lektor verzichtet hat – schade.

Und der zweite recht grobe Schnitzer, der bei einem Buch, das sich mit Design beschäftigt und von einem Team aus hauptberuflichen Designern und Forschenden zu diesem Thema herausgegeben wird, eigentlich nicht hätte passieren dürfen, ist folgender:

Ja, natürlich ist das nicht die Handel Gothic EF. Das ist Courier New, weil offensichtlich beim Einbetten der Schrift irgendwas schiefgelaufen ist und diese beim Druck dann durch die Courier New substituiert wurde. Etwas, das spätestens im Proof oder Andruck hätte auffallen müssen.

Wie das Beispiel hätte aussehen müssen, zeigt der folgende Ausschnitt aus dem ZDF-Styleguide, hier in der Ausgabe von 2008:

Auch das natürlich kein Weltuntergang, aber ein kleines Detail, das Detailverliebte (und wer, bitteschön, kauft sonst solche Bücher? ;-)) schon stören kann.

Falls irgendjemand von Verlag oder Herausgebenden das hier lesen sollte: bitte nicht als Mäkelei verstehen, ich habe mich über das Buch wirklich sehr gefreut und tue dies immer noch, wann immer ich es aus dem Regal nehme. Ich empfehle das Buch klar und uneingeschränkt weiter (an dieser Stelle übrigens – sicherheitshalber, auch wenn es selbstverständlich ist – der Hinweis: diese Buchrezension wie auch alle anderen Rezensionen in meinem Blog, sei es zu Medien oder Produkten, sind, trotz Namens- oder Markennennung und trotz Verlinkungen keine Werbung, völlig unabhängig aus intrinsischer Motivation entstanden und spiegeln einzig und allein meine persönliche Meinung wider!). Die Kritik, auch die obigen beiden Punkte, sind absolut konstruktiv gedacht – und als Verbesserungsvorschlag, sollte es eine zweite Print-Auflage geben.

Mehr gibt’s dann auch gar nicht mehr hinzuzufügen. Alles weitere muss man selbst lesen, und vor allem, angucken. Sollte man jedenfalls!

Das Buch gibt’s online und im gut sortierten Buchhandel, ihr findet das schon selbst – hier die ISBN: 978-3-9822542-4-1. Viel Freude!

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Medien Rezensionen & Reviews

Kurz-Review: „Der Palast“, ZDF 2022

Erst einmal allen, die das lesen, ein gutes, gesundes, glückliches neues Jahr!

Mit diesem kurzen Artikel möchte ich beginnen (nachdem ich dies früher irgendwo in den verwirrenden Tiefen meines Content-Management-Systems und auch nur seltenst tat), auch hier im Blog, „ganz vorne“, hin und wieder kurze Kritiken zu Medien aller Art, sei es Musik, Filme, Serien, Videos auf den diversen Plattformen, zu posten.

Den Anfang macht, weil aktuell geschaut und noch präsent, die ZDF-Produktion „Der Palast“, die die Geschichte des Berliner Friedrichstadt-Palastes, eingebettet in eine fiktionale Geschichte, erzählen soll. Lief im ZDF Anfang Januar 2022 als Dreiteiler, in der Mediathek ist das Machwerk in Form von sechs jeweils halb so langen Folgen abrufbar.

Ich schreibe hier keine vollständige Kritik, das haben schon andere sehr treffend getan, ich will nur ein paar Aspekte zur Sprache bringen, die mich persönlich ganz besonders gestört haben (die Liste an positiven Dingen ist leider tatsächlich kurz; mir fällt spontan kein Moment ein, an dem ich mich sonderlich gut unterhalten, überrascht, gespannt etc. gefühlt habe – einziger positiver Aspekt ist eigentlich die wirklich gute schauspielerische Leistung von Svenja Jung in ihrer Zwillingsrolle).

Also mache ich es kurz und schmerzlos: Die Produktion war in meinen Augen leider ziemlich erbärmlich, sowohl von Drehbuch und Handlung als auch von der Inszenierung und der Regie her. Nicht nur, dass weder Musik, Kostüme noch Choreografie auch nur im entferntesten an die späten 80er-Jahre erinnerten, es fuhren auch noch Autos herum, die erst ab 1994 gebaut wurden (z.B. ein viel zu neues Audi-Modell A4, intern 8D, als Taxi – sowas ist einfach so leicht vermeidbar, das ist der Job eines Requisiteurs, sowas zu checken); diverse gezeigte IKEA-Möbel gab es auch in Westdeutschland zu dieser Zeit noch nicht; die in einer Szene zu sehende Microsoft-Word-Version gab es ebenfalls erst ab 1991 (eindeutig Word 5.x, erkennbar an der Menüleiste oben und dem blauen Hintergrund; die 1989 aktuelle Version 4.x hatte das Menü noch unten), ganz abgesehen davon, dass der gezeigte PC-Monitor ausgeschaltet war (Power-LED war aus) und der Bildschirminhalt nur „reingeshopt“ wurde – da hätte man wenigstens auch die LED noch grün machen können…

Vom ZDF war man, wenn man z.B. die Ku’damm-Filme kennt, in Sachen „Historien-Doku-Dramedy“ oder wie auch immer man das nennen mag, doch sehr, sehr viel Besseres gewohnt.

Insgesamt meiner Ansicht nach eine ziemlich dahingehunzte Produktion. Man hat den Eindruck, das ZDF wollte einfach „nochmal sowas wie Adlon/KaDeWe“ machen, was quotentechnisch ja offensichtlich irgendwie funktioniert hatte.

Von dem Aspekt, dass die DDR-Geschichte hier vollkommen unzulässig verkürzt und in keinster Weise aufarbeitend dargestellt, sondern lediglich als Vehikel genutzt wurde und keine ernsthafte Beschäftigung seitens der Schaffenden mit dem politischen und gesellschaftlichen Geist der damaligen Zeit erkennbar ist, mal ganz abgesehen.

Schade!

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Gesellschaft Medien

Die ARD schaltet den DVB-S-Hörfunk-Transponder ab …

„Der einzige Fortschritt, den wir noch erreichen können, ist die Erkenntnis, dass wahrer Fortschritt nur in der Abkehr vom Zwang des ewigen Fortschritts liegen kann.“

… und dafür auf zwei „neuen“ DVB-S2-Transponder ihre Radioprogramme im AAC-LC-Codec auf. So weit, so technisch. Und so alt die Nachricht: bekannt ist das mittlerweile schon seit fast einem Jahr, der Probebetrieb der AAC-Sender läuft bereits seit Juni 2021 mehr oder weniger holprig. Nun wird es bald so weit sein: ab dem 14.12.2021 soll auf dem alten Transponder nur noch eine Hinweisschleife zu hören sein, Ende 2021 ist dann komplett Schluss mit Transponder 93.

Ich hab da so ein paar ganz persönliche Gedanken dazu, die ich an dieser Stelle gerne mit euch teilen mag. Hörfunk ist tatsächlich an sich nicht mein Metier, auch beruflich nicht, trotz der Tatsache, dass ich im Broadcast-Bereich tätig bin. So glaube ich, zumindest halbwegs einen Blick „von außen“ darauf zu haben, wenn ich sage, dass ich mit der Entscheidung der ARD doch arge Bauchschmerzen habe.

Grundsätzlich ist gegen den Umstieg auf neue Technik nichts einzuwenden, zumal wenn dadurch (wie es ja heißt) Kosten gespart werden können und eine technische „Zukunftssicherheit“ gewährleistet werden kann. Auf der anderen Seite bin ich ja auch ein ganz großer Fan der Sichtweise, bewährte Verfahren und Techniken nicht ohne Not abzuschalten oder ersetzen zu müssen, wenn diese ihren Zweck tadellos erfüllen. Ja, das Zitat zu Beginn dieses Posts stammt von mir selbst und zwar aus einem Blogbeitrag vom 24. März 2009.

Und genau in diesem Spagat findet sich wohl die ARD bei dieser Aktion wieder. Der alte Transponder war maximal kompatibel: Er war einer der letzten DVB-S-Transponder (nicht DVB-S2) – also auch mit wirklich altem Gerät, wie es zum Beispiel in alten, abbezahlten Kopfstellen von Gemeinschaftsantennenbetreibern seinen Dienst tut, oder auch Ommas altem SD-Satellitenreceiver, problemlos empfangbar. Der Codec war der für alle DVB-Geräte verpflichtend zu unterstützende, millionenfach implementierte und längst patent- und lizenzfrei dekodierbare „MPEG-1 Audio Layer II“-Codec.

Und da muss man jetzt einfach der Wahrheit ins Auge blicken, dass das neue Angebot auf den beiden neuen Transpondern im AAC-Codec nach wie vor mit vielen (selbst neueren) Receivern nicht oder nur in eingeschränkter Qualität nutzbar ist. Selbst wenn die ARD auf dieser Seite und in diversen Social-Media-Posts das Gegenteil behauptet und davon spricht, dass die meisten Geräte sich „schnell und einfach“ updaten ließen.

So klagen einige Hörer selbst bei eigentlich AAC-tauglichen Geräten über gelegentliche Aussetzer, Knackser und ähnliche Phänomene (Stand: November 2021); manche – selbst hochpreisige – Geräte, die noch im Laufe des Jahres 2021 verkauft wurden, sind vollständig inkompatibel zu AAC und lassen sich in einigen Fällen auch nicht updaten. Betroffen sind neben Satelliten- auch Kabelreceiver, die von den entsprechenden Kabelbetreibern – vor allem jenen, die das analoge UKW-Signal in ihrem Netz mittlerweile abgeschaltet haben – noch bis vor wenigen Monaten als UKW-Nachfolgegeräte an ihre Kunden vertrieben wurden.

Grund: Der Audio-Codec AAC ist im DVB-Standard zwar vorgesehen, für Gerätehersteller aus diversen Gründen (u.a. Lizenzgebühren) aber immer schon nur optional gewesen. Sprich: selbst 2021 durften und dürfen z.B. Kabelradios, die lediglich MP2 beherrschen, nicht aber AAC, als „DVB-C“-konform verkauft werden. Solche Geräte werden aber künftig beim ARD-Hörfunk stumm bleiben.

Ein weiteres, eventuell unterschätztes Problem sind die vielen (auch kleineren) oben bereits erwähnten Kabelnetzbetreiber (und ich spreche hier explizit nicht von Vodafone, Unity & Co.!), die ihre DVB-Umsetzer jetzt erneuern müssen. Dabei handelt es sich oft um lokal organisierte Vereine, die aber ganze Wohnanlagen („Gemeinschaftsantennenanlagen“) mit DVB-C und oft auch noch einem UKW-Signal im Kabel versorgen. Den Austausch der dafür nötigen (leider ziemlich teuren) sogenannten Kopfstellentechnik gegen DVB-S2- und AAC-taugliche Komponenten können sich viele kleine Betreiber (Vereine etc.) oft nicht leisten. Über DVB-C und UKW bleibt der ARD-Hörfunk in solchen Anlagen also vielerorts künftig stumm.

Privatsender, die weiterhin in MPEG-1 Audio Layer II (MP2) ausstrahlen, sind davon nicht betroffen. Hoffentlich verliert die ARD mit der Aktion also nicht am Ende viele Hörer an die Konkurrenz.

Eine interessante Quelle mit weiteren Infos zu den möglichen Auswirkungen der Abschaltung ist diese Seite (inklusive Petition, die die ARD zur Beibehaltung des alten Transponders bewegen sollte, mit – Stand Dezember 2021 – nur 800 von geplanten 10.000 Unterstützern aber wohl ihr Ziel grandios verfehlt hat).

Tatsächlich ist auch die Qualität der AAC-Übertragung nicht immer ebenbürtig, seltenst besser als das bewährte MP2 bei den extrem hohen Bitraten des alten Transponders. Mehrkanalton in AC3, der ebenfalls nach wie vor den De-Facto-Standard darstellt, weil er von allen (AV-)Receivern dekodiert und wiedergegeben werden kann, wird es bis auf eine Ausnahme (NDR Kultur) auf den neuen Transpondern ebenfalls nicht mehr geben. Einige Anstalten wie der Hessische Rundfunk werden mit ihren Kulturwellen künftig die Ausstrahlung von Surround-Programmen vollständig beenden (auch wenn auf der zugehörigen Website von hr2-kultur noch weiter munter damit geworben wird). Einige (z.B. BR-KLASSIK) versuchen, den AAC-Mehrkanalton-Standard zur Anwendung zu bringen, der von einigen Endgeräten zwar unterstützt wird, von einigen aber auch nicht. Im besten Fall transcodiert der DVB-S2-Receiver diesen Ton in ein kompatibles AC3-5.1-Signal und gibt es an den AV-Receiver weiter. Im schlechtesten Fall hört man bei den Surround-Sendungen gar nichts oder nur Mono-Ton.

Mein persönliches Fazit aus der Sache: Ich weiß einfach nicht, ob die ARD sich mit der Aktion tatsächlich einen Gefallen tut. Ein ASTRA-Transponder kostet viel Geld, das ist klar, doch durch die eigentlich bereits viel länger überfällige Abschaltung der SD-Übertragung diverser dritter Fernsehprogramme und geschicktes Umsortieren hätten sich grundsätzlich mehr Transponder einsparen lassen, als der eine, hochkompatible DVB-S-Hörfunktransponder. Mal ganz davon abgesehen, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass SES ASTRA im Jahr 2021 noch in einer so guten Verhandlungsposition ist, dass die ARD nicht ohne Probleme den Preis signifikant hätte runterverhandeln können. Im Zeitalter des sterbenden Linear-TVs und auch der immer mehr aussterbenden SNG-Übertragungen werden die Satellitenbetreiber noch auf vielen freien Transponderkapazitäten sitzen bleiben, sodass jeder vernünftige Verhandler auf der anderen Seite eigentlich jeden von der ARD gebotenen Preis für den ollen Tp 93 nehmen dürfte statt einer Abschaltung.

Aber wie gesagt – das ist nur meine persönliche Meinung, da steck ich nicht drin. Ich werde dem Transponder 93 mit seinen exzellenten Audioqualitäten von bis zu 320 kbit/s MP2 jedenfalls definitiv die eine oder andere Träne nachweinen.

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Hard- & Software Medien Netzwelt

Seufz. Liebe ARD Mediathek, ich würde dich ja gerne gern haben, aber…

Lust auf einen Rant zu einem anderen Thema als Corona? You’re Welcome!

Screenshot aus der ARD Mediathek mit der Fehlermeldung "Die MediaCollection konnte nicht validiert werden".
Immer wieder ein Quell der Freude: Die ARD Mediathek.

Liebe ARD, genauer gesagt, liebes ARD Online in Mainz!

Ja, ihr habt mega viel Arbeit in die ARD Mediathek gesteckt in den letzten drei Jahren. Es hat sich vieles verbessert. Allein, dass es jetzt nicht mehr drei verschiedene Mediatheken gibt (Das Erste Mediathek, ARD Mediathek, die Dritten Programme – mit Ausnahme des BR, der ja irgendwie immer noch eine Extrawurst brät) ist löblich. Die Metadaten, die Verschlagwortung, die Suchfunktion, das Design und die Technologie dahinter werden langsam besser.

Aber all das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die ARD Mediathek leider immer noch abgrundtief schlecht und unzuverlässig ist! So! Jetzt ist es raus!

Lobt euch bitte nicht für ein Produkt, das zwar besser als ein nicht mehr tragbares Vorgängerprodukt aus den 2000ern ist, aber nach heutigen Maßstäben (YouTube, Netflix) einfach immer noch unfassbar lächerlich ist. Und einfach an so vielen Stellen kaputt, ohne jegliche erkennbare Besserung in den letzten Monaten! Besonders, wenn man sie intensiv nutzt oder dies zumindest beabsichtigt, fällt das an allen Ecken und Enden auf.

Sendungen wie Tatort oder auch Brennpunkt tauchen immer noch drei, vier, fünfmal auf (bei den Dritten und im Ersten, mit und ohne Gebärdensprache, Sendungen im „Ersten“ auch immer noch viel zu häufig zweimal – einmal als Sendemitschnitt vom Ersten, einmal ohne SAW-Logos direkt zugeliefert).

Die Qualität schwankt extrem, von Full HD (mehr ist scheinbar nicht vorgesehen) bis zu ruckelndem Klötzchenbrei.

Immer wieder bleibt die Navigation im Vollbildmodus sichtbar und blendet sich ums Verrecken nicht aus. Egal, wie wild man mit der Maus gestikuliert, den Vollbildmodus verlässt, wieder aktiviert (das ist dann bei mir so ein Punkt wo ich wegschalte).

Weiter: bei „Sendungen A-Z“ fehlt bei jedem dritten Laden die Hälfte der Sendungen unter einem bestimmten Buchstaben. Reload bringt nichts. Ups, das Sandmännchen bringt einen „404 Error“. Weiter gehts, probierst du halt das Video über einen anderen Weg zu finden. Ach, da. Hups, „Die MediaCollection konnte nicht validiert werden“ (WTF?!).

Videos sind erst „ab 01.10.2021, 20:15 verfügbar“, obwohl es längst Dezember ist. Am Fernseher via HbbTV sind wahllos Videos „leider nicht verfügbar“. Die Lautstärkeregelung mit den Systemtasten verhält sich unter Windows immer noch erratisch (einmal mit der Maus auf „Mute“ in der Mediathek geklickt, ist es unmöglich, mit der Windows-Mute-Taste auf der Tastatur wieder zu unmuten, denn die toggelt dann das Windows-Mute und das Mediatheks-Mute gegenläufig. Liebe Developer, hört her: Die Mediathek darf nicht auf diese Tasten reagieren, die sollen nur die Systemlautstärke steuern, schon zig mal gemeldet, was ist denn daran so schwer zu verstehen?!).

Die Navigation ist generell unübersichtlich, es ist nicht immer klar, in welchem View man sich befindet, und auch der „Zurück“-Pfeil links oben macht oft nicht das, was man erwartet. Wenn er überhaupt da ist.

Willkürlich wird bei einigen Sendungen ein Datum angezeigt, bei anderen nicht. Hier zum Beispiel nicht:

Screenshot aus der ARD Mediathek. Zu sehen eine Reihe von Thumbnails, alle nur beschriftet mit "tagesschau von 20:00 Uhr" etc., ohne Datum.

Auf der Suche nach einer tagesschau-Ausgabe von einem bestimmten Datum? Viel Spaß!

Eine sich über zwei Zeilen erstreckende Qualitätsauswahl (ich zitiere: „Automatische Qualität – Niedrige Qualität – Mittlere Qualität – Hohe Qualität – Sehr hohe Qualität – Full HD“ – euer Ernst? „Hohe Qualität – Sehr hohe Qualität – Full HD“? Wenn ihr so viele Qualitätsstufen habt, schreibt doch wenigstens einfach die Auflösung hin, wie bei YouTube, dann weiß man bescheid!) überfordert den Nutzer.

Bei Nutzung im Browser reißt der UX-Flow einfach immer irgendwo ab, weil die ganze Sache in einen Zustand gerät, wo einfach keine Thumbnails mehr laden, Sendungen fehlen, oder, oder. Da hat sich in den letzten 24 Monaten keinen Deut was gebessert!

It – is – a – mess!

Liebe Leute, ernsthaft! Es macht auch 2021 immer noch einfach keinen Spaß, Inhalte bei euch anzuschauen. Niemand von euren anvisierten „jungen Zielgruppen“ wird sich von euch von Instagram, YouTube & Co. freiwillig auf die ARD Mediathek „locken lassen“, so lange es da so, mit Verlaub, sch…recklich ist! Seht das mal ein und repariert in einem ersten Schritt einfach mal alles oben Genannte! Die meisten dieser Fehler sind seit Monaten bekannt!

Und ich wünschte, ich könnte was anderes sagen, denn ich bin ja auf eurer Seite.

So. Habe fertig. ;-)

(Bilder: Symbolbilder ARD Mediathek. Quelle: ardmediathek.de)

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Gesellschaft Medien Netzwelt

Nun endlich auch von mir was zu Corona und Gesellschaft, aber ohne Fragezeichen im Titel

„Die Tatsache, dass diese Impfgegner existieren, dass generell die Wissenschafts-Leugner und Schwurbler existieren, lässt sich nicht wegdiskutieren, vermutlich ist da auch niemand direkt schuld dran (naja, vielleicht generell das klassische deutsche oder westeuropäische „Bildungssystem“, das die Naturwissenschaften immer noch nicht als gleichwertige „humanistische Bildung“ zulässt wie die Kenntnis von Homer und Ovid; das System, in dem man sich beim Abendessen mit der befreundeten Familie oder auch der des Chefs eben gut und gerne trauen kann, zu sagen: „Also, wisst ihr was, meine Guten? Ich weiß bis heute nicht, wie so ein Elektromotor funktioniert, ha ha!“, sich aber niemand je die Blöße gäbe, ein „Also, wisst ihr was, ich hab noch nie was von Shakespeare gelesen und den Faust hab ich auch nie verstanden!“ in den Raum zu werfen, aber don’t get me started…!).“

Illustration Coronavirus

Wie im letzten Post angedeutet, fällt es mir immer schwerer, mich nicht (auch noch!) zum allgegenwärtigen Thema „Corona“ und vor allem „Was macht Corona mit unserer Gesellschaft“ zu äußern. Auch wenn ich wirklich lange versucht habe, mich dazu zurückzuhalten, denn in meiner Situation hatte und habe ich zum allgemeinen Lamentieren und Klagen wenig Recht und Grund, denn mir und uns geht es, verglichen mit anderen Menschen, die stark unter der Krise zu leiden hatten und haben, sehr, sehr gut. Und dafür bin und bleibe ich dankbar.

Außerdem ist es ja so, dass einem allgemein immer übelgenommen wird, wenn man sich in einer Weise äußert, die auch nur im Entferntesten an eine „Told you so“-Mentalität erinnert. Das mag auch recht so sein, denn „Told you so“-Rufer haben wir tatsächlich schon immer genug gehabt und dass man „hinterher immer schlauer“ ist, stimmt auch.

In der aktuellen Krise gibt es aber einen großen Unterschied: viele der Wissenschaftlerinnen und Forschenden, die schon relativ früh (also in der ersten Jahreshälfte 2020) vor der Pandemie gewarnt und mögliche Szenarien und vor allem Gefahren bei Missachtung ihrer Warnungen und gebotenen Maßnahmen relativ genau vorgezeichnet haben, wurden hinterher ebenfalls mit diesem Argument abgespeist: hinterher könne man ja immer sagen, man hätte es vorher schon genau gewusst. Das Problem ist hier: sie haben es ja vorher genau gewusst, und an vielen Stellen war dies auch nachprüfbar und belegbar.

Ändert aber nichts: in der Gesellschaft kommen die, die es „immer besser wissen“ selbst dann schlecht an, wenn sie es wirklich besser wissen und sogar vorher nachweislich besser wussten. Gerade in einer Welt von Fake News und „Wissenschafts-Zweiflern“, in der wir uns leider mehr und mehr befinden.

Ich bin weder Virologe noch Epidemiologe, Biologe, Mediziner oder sonstwie ausgewiesener Experte – aber gerade deswegen vertraue ich auf die Expertise der vorgenannten Gruppen. Schon sehr früh habe ich habe mich von ebenjenen immer ziemlich gut informiert und beraten gefühlt, auch wenn die Politiker immer wieder behaupten, ja von nichts gewusst zu haben und „schlecht beraten“ worden zu sein. Mich zu dem Thema öffentlich zu äußern, wie zum Beispiel hier, habe ich oft vermieden, um eben nicht als Unken- oder Cassandrarufer dazustehen oder als jemand der hinterher immer alles vorher besser gewusst haben will.

Aber trotzdem, auch auf die Gefahr hin, mir das sagen lassen zu müssen, möchte ich heute – und ich versuche, es kurz zu machen, auch wenn es schwer fällt – auf ein paar Punkte eingehen, bei denen ich das Gefühl habe, dass sie die Kern- und Ausgangspunkte der Probleme sind, vor denen wir heute stehen.

Zunächst ein paar Dinge, von denen ich glaube, dass sie von Anfang an von vielen falsch eingeschätzt und politisch falsch, schlecht oder doch zumindest unglücklich kommuniziert wurden:

„Ein paar Monate zusammenhalten, Zähne zusammenbeißen, und gemeinsam da durch…“

Es wurde sehr früh das Narrativ geprägt, dass diese Pandemie ein vorübergehender Zustand sei, ein paar Wochen, vielleicht Monate andauernd, und dass wir mit allen Kontaktbeschränkungen, Hygienemaßnahmen, Lockdowns usw. die Pandemie dauerhaft „hinter uns bringen“ würden.

Dass das nichts werden würde, war aus epidemiologischer und virologischer Sicht schon damals klar. Ein solches Virus verabschiedet sich nicht einfach und sagt „Tschö mit ö, ihr könnt die Masken wieder abnehmen und die Zettel auf euren Betriebstoiletten mit den Hinweisen, wie man sich richtig und lange genug die Hände wäscht, auch gleich mit. Braucht’s nicht mehr! Weiter wie früher! Adios!“

Im Gegenteil, es wird Varianten und Mutationen bilden und es wird vielleicht irgendwann auch nochmal ein ganz neues Virus kommen. Besser wär’s also, wenn wir die ganzen Abstands- und Hygieneregeln einfach mal nie wieder vergessen!

Allgemeine Lebensrisiken

Ein Thema, das ich bereits 2009 mal in diesem Beitrag gestreift habe: es gibt Dinge, vor denen schützen am besten der gesunde Menschenverstand und allgemeine Vernunft und Vorsicht. Trotzdem bleibt ein gewisses Restrisiko.

Genau zu diesen „Lebensrisiken“ gehört meiner Ansicht nach eben auch das Risiko, sich mit einer Krankheit anzustecken. Immer und überall. Wie gesagt: es ist ein Restrisiko, das man aber mit all den oben genannten Maßnahmen minimieren kann und muss.

Was ich momentan aber extrem gefährlich finde, sind Gedankengänge, nach denen eine bestimmte Person die „Schuld“ an der Ansteckung einer anderen Person oder Gruppe hat oder haben kann. Ich finde das recht problematisch, denn letztlich „schuld“ an einer Infektion ist ja schon noch das Virus, und für dessen Existenz kann wohl niemand etwas.

Obacht: Ja, ich weiß, genau dieses Narrativ wird auch von Corona-Leugnern und Impfgegnern und sonstigen sogenannten Querdenkern verwendet und daher füge ich nochmal ganz explizit hinzu, dass ich deren Interpretation und Folgerungen selbstverständlich nicht teile. Die folgern nämlich daraus, dass Impfungen nichts brächten, dass es zu einer Durchseuchung kommen müsse und nichts so gut hülfe, wie ein natürlich gestärktes Immunsystem.

Das ist natürlich ganz klar unverantwortlich und falsch! Schaut euch die Intensivstationen an, spätestens da wird deutlich, dass Nicht-Geimpfte selbstverständlich eine Verantwortung dafür tragen, dass das Virus sich weiter verbreitet und vor allem dafür, dass Intensivbetten belegt sind – auch für andere, vielleicht völlig COVID-unabhängige Patientinnen.

Dennoch möchte ich vor einer Diskussion warnen, die darauf abzielt, einzelne Menschen für die Infektion anderer Menschen direkt verantwortlich zu machen. Daran zerbrechen gerade Familien und Freundschaften.

Also, nie vergessen: niemand (keine Hygienemaßnahmen, keine Vernunft, und – das muss ich natürlich wissenschaftlich korrekt hier auch zugeben – leider auch keine Impfung zu 100%) kann einem garantieren, dass man nicht krank wird. Dennoch bringen alle Maßnahmen, allen voran natürlich die Impfungen, zusammen ganz ganz viel und müssen daher weiter durchgehalten werden.

(Trotzdem: Früher hat man ja auch nicht den Kontakt zur Omma oder Schwester abgebrochen, weil man sich bei ihr mit einem Schnupfen angesteckt hat. Corona ist freilich weit schlimmer, aber der Wirkmechanismus ist schon noch der gleiche. Das meine ich an dieser Stelle.)

„Eine allgemeine Impfpflicht wird es nicht geben!“

Vielleicht der größte Fehler in der Pandemie: man hat ganz einfach die Zahl der Impfgegner, Corona-Leugner, Wissenschafts-Skeptiker und sonstiger Schwurbler unterschätzt!

Man könnte jetzt Gesellschaftsstudien über die deutsche Bevölkerung in West und Ost anstellen und darüber spekulieren, woher das – wenn man sich die Impfquoten ansieht – möglicherweise spezifisch deutsche und vielleicht noch spezifischer ostdeutsche Problem kommt, alles „von oben“ in Frage zu stellen. Misstrauen dem Staat gegenüber könnte hier ja eventuell eine rückwirkende Gegenreaktion auf Überwachung, Unterdrückung usw. des ehemaligen DDR-Regimes sein. Im Westen könnte es ebenfalls eine Haltung sein, die wir im Zuge der Aufarbeitung der Taten des NS-Regimes gelernt haben – und diese Haltung, diese Vorsicht, diese Achtsamkeit, dass eine solche Kontrolle von oben, eine „Gleichschaltung“ nie wieder passieren darf, ist grundsätzlich absolut nicht falsch. Im Gegenteil! Generationen von Sozialkundelehrern haben sehr viel Herzblut hineingesteckt, dass dies nie vergessen werden darf, und werden mir sicherlich beipflichten.

Aber diese Gesellschaftsstudien möchte ich hier gar nicht führen. Ich beobachte nur seit Jahren, dass gerade aus, nun, ich sage mal, „wissenschaftsferneren“ Kreisen (und ja, auch wenn es ganz bestimmt niemandem gerecht wird und ich damit ganz viele über ein- und denselben Kamm schere, nenne ich da jetzt mal in einem Atemzug, einfach als lockere Aufzählung: Esoteriker, sogenannte „Querdenker“, Wissenschaftsskeptiker, Populistinnen, Impfgegnerinnen, Anthroposophen, Homöopathen, sprich, alle, die sich aus dem einen oder anderen – vereinzelt ganz bestimmt auch richtigem – Grund gegen die „alte“, evidenzbasierte, aus deren Sicht aber „böse“ Wissenschaft und Schulmedizin wenden) immer lauter werdende „Meinungen“ ertönen, die Impfungen ablehnen.

Teils mit Argumenten, bei denen leider nicht mehr viel hilft. Sprich – einen Teil dieser Menschen erreicht man auch mit sachlichem, liebevollem Erklären und Aufklären nicht mehr.

Stichwort Aufklären übrigens: meiner Ansicht nach war die Impfkampagne der offiziellen Stellen (Gesundheitsministerium, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Gesundheitsämter usw.) sehr, sehr dünn. Wo waren denn die flächendeckenden Plakate mit Promis, die fürs Impfen warben? Sicher, hier und da mal eins oder auch zwei hat man gesehen, aber das hätte einfach viel mehr sein müssen. Und gerade in die oben erwähnten „Bubbles“ hinein gerichtet sein müssen. Influencer influencen heutzutage doch für jedes noch so überflüssige Quatschprodukt – hätte man denn da nicht ein paar zur Zusammenarbeit bewegen können?

Aber zurück zu den Impfgegnern – und zwar genau den harten Fällen, bei denen auch eine Aufklärungskampagne nicht mehr geholfen hätte.

Die Tatsache, dass diese Impfgegner existieren, dass generell die Wissenschafts-Leugner und Schwurbler existieren, lässt sich nicht wegdiskutieren, vermutlich ist da auch niemand direkt schuld dran (naja, vielleicht generell das klassische deutsche oder westeuropäische „Bildungssystem“, das die Naturwissenschaften immer noch nicht als gleichwertige „humanistische Bildung“ zulässt wie die Kenntnis von Homer und Ovid; das System, in dem man sich beim Abendessen mit der befreundeten Familie oder auch der des Chefs eben gut und gerne trauen kann, zu sagen: „Also, wisst ihr was, meine Guten? Ich weiß bis heute nicht, wie so ein Elektromotor funktioniert, ha ha!“, sich aber niemand je die Blöße gäbe, ein „Also, wisst ihr was, ich hab noch nie was von Shakespeare gelesen und den Faust hab ich auch nie verstanden!“ in den Raum zu werfen, aber don’t get me started…!).

Dass aber in den letzten Wochen auch durch die Medien die Gruppe der Ungeimpften gegen die der Geimpften (und umgekehrt) regelrecht gegeneinander aufgebracht wird, lässt mich wirklich sehr schockiert zurück. Diese Spaltung der Gesellschaft ist ganz sicher eine falsche Entwicklung. Richtiger wäre gewesen, einfach seitens der Politik sehr schnell anzuerkennen, dass man mit dem Ausschließen einer generellen Impfpflicht schlicht einen Fehler gemacht hat, und diese nachträglich einzuführen.

Und die Sache mit der Meinungsfreiheit

Leider bringt man sich mit einer solchen Aussage schnell in die Not, erklären zu müssen, ob man denn dann nun Respekt vor der persönlichen Entscheidung, der persönlichen „Meinung“ der nicht Geimpften habe oder nicht. Und da will ich ganz deutlich werden: Ja, Respekt vor dieser Entscheidung jedes und jeder Einzelnen habe ich. Denn es ist grundfalsch, eine Maßnahme (wie die Impfung) einerseits nicht verpflichtend einzuführen, und andererseits unterschwellig Druck auf diejenigen, die sich dann dagegen entscheiden, auszuüben – in welcher Form auch immer. (Ein weiterer Grund, warum die Entscheidung der Politik, eine Impfpflicht abzulehnen bzw. auszuschließen, fatal war).

Aber – bevor es jetzt endgültig so klingt, als hätte ich „Verständnis“ für „Impfgegner“ bzw. deren Entscheidungen, will ich auf den springenden Punkt kommen: es geht hier einzig und allein um das „Mindset“, aus dem heraus eine solche Entscheidung getroffen wird. Die Beweggründe, die dann von der entsprechenden Klientel in vielen Fällen leider sehr laut und öffentlich verkündet werden. Sehr oft werden von den Querdenkern und Impfgegnern hier pseudowissenschaftliche „Erkenntnisse“ angeführt, die dann angeblich unter die Meinungsfreiheit fallen.

So kürzlich geschehen in Hessen, wo einem Lehrer, der behauptet hatte, bei der Corona-Pandemie handele es sich um eine Verschwörung, zu recht gekündigt wurde.

Und damit möchte ich den Kreis zum Thema der Spaltung der Gesellschaft schließen: Ja, ein Aufwiegeln der Gesellschaft gegeneinander ist grundfalsch und gefährlich, und prinzipiell sollte man alle Meinungen (die auch wirklich Meinungen sind) im Diskurs akzeptieren und niemanden aufgrund seiner Meinung abwerten. Leider immer wieder nötig, und deshalb wiederhole ich es auch noch einmal, ist aber hierbei der immens wichtige Hinweis, dass man wirklich nur Meinungen akzeptieren sollte, die auch tatsächlich Meinungen sind!

Bestimmte Aussagen, wie zum Beispiel „Ich bin der Meinung, Viren existieren nicht“ oder „Ich bin der Meinung, Bill Gates verimpft uns Mikrochips“ sind schlicht keine Meinungen, sondern nachprüfbar unwahr.

Oder vielleicht eine kurze Analogie zum Fall des Lehrers von oben: eine Lehrerin, die im Unterricht behauptete, die Summe aus 1 und 1 sei 5,23 oder Beethoven hätte von 1901 bis 2003 gelebt oder „Die Glocke“ sei von Shakespeare, nicht von Schiller, würde ja auch zu recht rausgeworfen, und zwar vermutlich ohne großen Aufschrei aus der entsprechenden Szene…

Seid nett zueinander!

Dennoch, um es zum Schluss nochmal klar zu sagen, bleibt nett und fair zueinander. Spaltung und Hetze bringen uns alle nicht weiter! Es gehört zu einem menschlichen Miteinander, dass auch Menschen, die diese „Nicht-Meinungen“ glauben, haben zu müssen, keine Erniedrigungen oder persönlichen Angriffe verdient haben, sondern vielmehr Aufklärung und Auseinandersetzung.

Informieren, Überzeugen, Zusammenführen statt Spalten. Das ist es, was unsere Gesellschaft jetzt braucht.

Und natürlich allem voran: Impfungen! Wenn’s nicht anders geht, eben mit einer Pflicht. Was muss, das muss!