Ostern ist ein schönes Fest, nicht nur für Christ*innen. Und allen, die es feiern, gönne ich das von Herzen. Doch es gibt ein Problem mit seinem zentralen Narrativ. Ein paar Gedanken eines christlich geprägten, aber immer skeptisch gewesenen Agnostikers zu Gerechtigkeit und Gleichheit – so kurz und knapp, wie ich kann.
Jedes Jahr zu Ostern feiert die christliche Welt – und, wenn wir ehrlich sind, können wir das auf „die westlich-abendländische, christlich geprägte“ Welt erweitern – das Osterfest, das höchste Fest im christlichen Kirchenjahr. Die Diskussion, ob es sich dabei ursprünglich um ein heidnisches Fest zu Ehren der Frühlingsgöttin Ostara handelt, möchte ich hier gar nicht anreißen (Kurzfassung: die Wissenschaft geht heute davon aus, dass es sich bei dieser Erzählung um einen etymologischen Irrtum handelt, der letztlich in der NS-Zeit für Propagandazwecke missbraucht wurde und sich bis heute vor allem im rechten Milieu großer Beliebtheit erfreut – es existiert aber auch die nicht vollständig be- oder widerlegbare Gegenthese, dass die christlichen Kirchen genau diese Sicht der Dinge heute am liebsten verbreiten, um davon „abzulenken“, dass viele christliche Feste schon irgendwie vorher da waren und – was historisch bewiesener Fakt ist – die Daten, an denen wir sie feiern, auf christlichen Konzilen mehr oder weniger per Dekret festgelegt wurden und dabei durchaus durch die Daten vorchristlicher Bräuche beeinflusst wurden).
Worüber ich heute schreiben möchte, ist aber tatsächlich das christliche Ostern. Was dabei im Mittelpunkt steht, ist die Auferstehung Jesu. Doch in Wahrheit geht es nicht „nur“ darum, dass hier jemand, der für „die Sünden der Welt“ (peccata mundi) gestorben ist, nach drei Tagen auferstanden ist. In Wahrheit steht genau eine Sache im Mittelpunkt: das Leben nach dem Tod.
Das Leben nach dem Tod ist eines der zentralen Religionsversprechen des Christentums, und leider auch eines der meistinstrumentalisierten der Institution Kirche, des Systems Glaube. Das ist bekannt, das bekommen wir, wenn wir den Religionsunterricht besuchen, hierzulande spätestens, wenn das Thema Reformation auf dem Lehrplan steht, auch gut vermittelt. Die Geschichte geht ganz einfach – die „Glaubensautorität“, in dem Fall die (katholische) Kirche, verspricht dir: lebst du „hier unten“ immer schön artig, fromm und sündenfrei (oder zahlst entsprechend für den ein oder anderen Ablassbrief), dann profitierst du nach dem Tod vom ewigen Leben in Frieden und Gerechtigkeit – im „Himmel“.
Lässt sich halbwegs gut mit Aussagen aus der „heiligen Schrift“ begründen und funktioniert für eine Kirchenobrigkeit, die davon profitiert, dass ihre „Schäfchen“ schön das machen, was sie sollen (und dann auch gerne mal klingende Münze für entsprechende Verfehlungen springen lassen), jahrhundertelang erschreckend gut.
So weit, so bekannt. Es gibt aber einen zweiten Aspekt, der bei der Betrachtung dieses ganzen Auferstehungs- und Leben-nach-dem-Tod-Narrativs regelmäßig unter den Tisch fällt: der (durchaus auch von der Kirche schon jahrhundertelang betonte) Gedanke: „Vor Gott sind alle Menschen gleich“.
„Vor Gott“ – das heißt übersetzt: nach dem Tod. Dann nämlich, wenn „gerichtet“ werden soll. Genau dann soll Gerechtigkeit herrschen. Nun ja, zumindest sollen alle nach den gleichen Maßstäben – ob die nun sinnvoll sind oder nicht – behandelt werden.
Und genau da spielt eben ein zweiter Aspekt der kirchlich-religiösen Unterdrückung (neben dem „lebe so, wie wir das sagen, sonst ist eh nix mit Himmel“) hinein: dieses Versprechen, dass ja letztlich, nach dem Tod, in jedem Falle „Gerechtigkeit“ herrschen soll. Und dieses Versprechen, so mein Eindruck, soll nur vordergründig Trost und Zuversicht spenden (im Übrigen ist hier, wie so oft im Zusammenspiel von Glaube und religiöser Institution, der Grat zwischen „Trost“ und „Vertrösten“ sehr, sehr schmal).
In erster Linie soll dieses Vertrösten auf die große Gerechtigkeit nach dem Tod auch eine Rechtfertigung, eine Absolution dafür sein, dass all die Privilegierten, Mächtigen, Oberen (kirchlich wie weltlich) zu Lebzeiten jahrtausendelang und bis heute von ihren Privilegien, ihrer Macht, ihrem Reichtum profitieren.
Motto: stimmt schon, „der Papst lebt herrlich in der Welt“, Kaiser und König auch – aber hey, nach dem Tod, da sind ja eh alle gleich, also nerv uns Obere jetzt mal zu Lebzeiten nicht so mit Gerechtigkeit, lieber frommer Christ.
Die Kirche als Institution und auch ihre Predigenden sind und waren mit Segenswünschen, salbungsvollen Worten für Verstorbene, Osterfrieden und so weiter immer schnell dabei. Was aber viel wichtiger wäre: können wir nicht einfach alle gemeinsam alles daran setzen, dass hier und jetzt, auf unserem Planeten, zwischen uns Menschen, die wir darauf leben, endlich mal Gerechtigkeit einkehrt, eine wirkliche Gleichbehandlung, Ende von Ausgrenzung von Minderheiten, Frieden zwischen Völkern und Gruppierungen jedweder Art? Wäre das nicht das oberste Ziel?
Für mich ist das ein – und beileibe nicht das einzige – Problem mit der ach so schönen Auferstehungsgeschichte. Beim Thema Religionskritik möchte ich gar nicht vom Hundertsten ins Tausendste kommen und ganz bestimmt niemandem das Osterfest madig machen, beileibe nicht!
Ich finde nur, über diesen Aspekt muss gesprochen werden. Wie es im Übrigen Kurt Marti als einer der Wenigen recht prominent in seinem Gedicht „Anderes Osterlied“ schon im Jahr 1969 getan hat, ein Gedicht, dass dann nur ein Jahr später Peter Janssens – sorry, trotz Sacro-Pop – kongenial vertonte (auf die Melodie des Osterhymnus „Christ ist erstanden“).
Für das Stück wandelte Janssens den Text leicht vom Original Martis ab, und so beginnt es mit diesen so treffenden Zeilen – zusammen mit dem stampfenden Beat in Moll eher an ein sozialistisches Arbeiterkampflied erinnernd als an einen Osterhymnus:
Ich finde: wenn wir das mit der Gerechtigkeit auch mal vor dem Tod hinbekämen, können wir von mir aus gerne darauf pfeifen, was nach dem Tod ist – aber auch gerne daran glauben, dass die Gerechtigkeit da weitergeht. (Pro-Tip: schon mal von Karma gehört? Auch kein übles Konzept!)
Aber bitte, bei allem: das Hier und Jetzt ist es, das Gerechtigkeit am meisten bräuchte. Und am meisten davon profitieren würde. Sozial wie politisch. Zwischen Geschlechtern aller Art. Zwischen gesellschaftlichen „Schichten“. Zwischen Mensch und Natur.
Lasst uns daran arbeiten.
Frohe Ostern!